Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.Ueber Frauenemancipation. einer anderen zugewendet haben, welche damit unvereinbar ist.Niemand schlägt vor, das männliche Geschlecht vom Parlament auszuschließen, weil ein Mann ein Soldat oder ein Matrose im activen Dienst sein kann, oder ein Kaufmann, dessen Ge- schäft all seine Zeit und Thatkraft in Anspruch nimmt. Neun Zehntel der Männer sind de facto durch ihre Beschäftigung eben so wirksam vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, als ob das Gesetz sie davon ausschlösse; aber das ist kein Grund dafür, Gesetze zu erlassen, um diese neun Zehntel, geschweige denn um das noch übrige Zehntel auszuschließen. Für die Frauen gilt hier genau dasselbe wie für die Männer. Es ist nicht nothwendig durch ein Gesetz Vorsorge zu treffen, daß eine Frau nicht in eigener Person die Geschäfte eines Haushaltes besorgen oder die Erziehung von Kindern leiten und gleichzeitig ein Arzt oder Anwalt sein oder in's Parlament gewählt werden dürfe. Wo die Unvereinbarkeit eine wirkliche ist, wird sie selbst für sich zu sorgen wissen; aber es ist eine grobe Ungerechtigkeit, diese Unvereinbarkeit zum Vorwand der Ausschließung derjenigen zu machen, bei denen sie nicht besteht. Und von solchen würde sich eine sehr große Anzahl finden, wenn man ihnen freie Wahl ließe. Das Mutterpflichten-Argument läßt seine Vertreter im Stiche im Falle von ledigen Frauen, eine große und rasch zunehmende Classe der Bevölkerung, welche Thatsache - es ist nicht überflüssig, dieses zu bemerken - dadurch daß sie die übermäßige Concurrenz der Massen verhindert, dazu angethan ist das Wohl Aller erheblich zu fördern. Es giebt keinen in der Sache selbst liegenden Grund und keine Nothwendigkeit, warum alle Frauen sich freiwillig dafür entscheiden sollten, ihr Lebeneiner animalischen Function und ihren Folgen zu widmen. Zahlreiche Frauen werden nur darum Gattinnen und Mütter, weil ihnen keine andere Laufbahn offen steht, kein anderer Spielraum für ihre Gefühle oder ihre Thätigkeit. Jede Verbesserung ihrer Erziehung und jede Erweiterung ihrer Fähigkeiten, alles was sie für irgend eine andere Lebensweise tauglich macht, vergrößert die Zahl der- jenigen, denen durch die Entziehung der freien Wahl ein schweres Unrecht widerfährt. Sagen, daß die Frauen vom thätigen Leben ausgeschlossen werden müssen, weil die Mutterpflichten sie dazu untauglich machen, das heißt in Wahrheit sagen, daß ihnen jeder andere Lebensweg verschlossen sein soll, damit der Stand der Mutter ihre einzige Zuflucht bleibe. Aber zweitens, so behauptet man, würden die Frauen, wenn Ueber Frauenemancipation. einer anderen zugewendet haben, welche damit unvereinbar ist.Niemand schlägt vor, das männliche Geschlecht vom Parlament auszuschließen, weil ein Mann ein Soldat oder ein Matrose im activen Dienst sein kann, oder ein Kaufmann, dessen Ge- schäft all seine Zeit und Thatkraft in Anspruch nimmt. Neun Zehntel der Männer sind de facto durch ihre Beschäftigung eben so wirksam vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, als ob das Gesetz sie davon ausschlösse; aber das ist kein Grund dafür, Gesetze zu erlassen, um diese neun Zehntel, geschweige denn um das noch übrige Zehntel auszuschließen. Für die Frauen gilt hier genau dasselbe wie für die Männer. Es ist nicht nothwendig durch ein Gesetz Vorsorge zu treffen, daß eine Frau nicht in eigener Person die Geschäfte eines Haushaltes besorgen oder die Erziehung von Kindern leiten und gleichzeitig ein Arzt oder Anwalt sein oder in's Parlament gewählt werden dürfe. Wo die Unvereinbarkeit eine wirkliche ist, wird sie selbst für sich zu sorgen wissen; aber es ist eine grobe Ungerechtigkeit, diese Unvereinbarkeit zum Vorwand der Ausschließung derjenigen zu machen, bei denen sie nicht besteht. Und von solchen würde sich eine sehr große Anzahl finden, wenn man ihnen freie Wahl ließe. Das Mutterpflichten-Argument läßt seine Vertreter im Stiche im Falle von ledigen Frauen, eine große und rasch zunehmende Classe der Bevölkerung, welche Thatsache – es ist nicht überflüssig, dieses zu bemerken – dadurch daß sie die übermäßige Concurrenz der Massen verhindert, dazu angethan ist das Wohl Aller erheblich zu fördern. Es giebt keinen in der Sache selbst liegenden Grund und keine Nothwendigkeit, warum alle Frauen sich freiwillig dafür entscheiden sollten, ihr Lebeneiner animalischen Function und ihren Folgen zu widmen. Zahlreiche Frauen werden nur darum Gattinnen und Mütter, weil ihnen keine andere Laufbahn offen steht, kein anderer Spielraum für ihre Gefühle oder ihre Thätigkeit. Jede Verbesserung ihrer Erziehung und jede Erweiterung ihrer Fähigkeiten, alles was sie für irgend eine andere Lebensweise tauglich macht, vergrößert die Zahl der- jenigen, denen durch die Entziehung der freien Wahl ein schweres Unrecht widerfährt. Sagen, daß die Frauen vom thätigen Leben ausgeschlossen werden müssen, weil die Mutterpflichten sie dazu untauglich machen, das heißt in Wahrheit sagen, daß ihnen jeder andere Lebensweg verschlossen sein soll, damit der Stand der Mutter ihre einzige Zuflucht bleibe. Aber zweitens, so behauptet man, würden die Frauen, wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="12"/><fw place="top" type="header">Ueber Frauenemancipation.</fw><lb/> einer anderen zugewendet haben, welche damit unvereinbar ist.<lb/> Niemand schlägt vor, das männliche Geschlecht vom Parlament<lb/> auszuschließen, weil ein Mann ein Soldat oder ein Matrose<lb/> im activen Dienst sein kann, oder ein Kaufmann, dessen Ge-<lb/> schäft all seine Zeit und Thatkraft in Anspruch nimmt. Neun<lb/> Zehntel der Männer sind <hi rendition="#aq">de facto</hi> durch ihre Beschäftigung eben<lb/> so wirksam vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, als ob das Gesetz<lb/> sie davon ausschlösse; aber das ist kein Grund dafür, Gesetze zu<lb/> erlassen, um diese neun Zehntel, geschweige denn um das noch<lb/> übrige Zehntel auszuschließen. Für die Frauen gilt hier genau<lb/> dasselbe wie für die Männer. Es ist nicht nothwendig durch ein<lb/> Gesetz Vorsorge zu treffen, daß eine Frau nicht in eigener Person<lb/> die Geschäfte eines Haushaltes besorgen oder die Erziehung von<lb/> Kindern leiten und gleichzeitig ein Arzt oder Anwalt sein oder in's<lb/> Parlament gewählt werden dürfe. Wo die Unvereinbarkeit eine<lb/> wirkliche ist, wird sie selbst für sich zu sorgen wissen; aber es ist<lb/> eine grobe Ungerechtigkeit, diese Unvereinbarkeit zum Vorwand der<lb/> Ausschließung derjenigen zu machen, bei denen sie nicht besteht. Und<lb/> von solchen würde sich eine sehr große Anzahl finden, wenn man<lb/> ihnen freie Wahl ließe. Das Mutterpflichten-Argument läßt seine<lb/> Vertreter im Stiche im Falle von ledigen Frauen, eine große und<lb/> rasch zunehmende Classe der Bevölkerung, welche Thatsache – es<lb/> ist nicht überflüssig, dieses zu bemerken – dadurch daß sie die<lb/> übermäßige Concurrenz der Massen verhindert, dazu angethan ist<lb/> das Wohl Aller erheblich zu fördern. Es giebt keinen in der<lb/> Sache selbst liegenden Grund und keine Nothwendigkeit, warum<lb/> alle Frauen sich freiwillig dafür entscheiden sollten, ihr Leben<hi rendition="#g">einer</hi><lb/> animalischen Function und ihren Folgen zu widmen. Zahlreiche<lb/> Frauen werden nur darum Gattinnen und Mütter, weil ihnen<lb/> keine andere Laufbahn offen steht, kein anderer Spielraum für ihre<lb/> Gefühle oder ihre Thätigkeit. Jede Verbesserung ihrer Erziehung<lb/> und jede Erweiterung ihrer Fähigkeiten, alles was sie für irgend<lb/> eine andere Lebensweise tauglich macht, vergrößert die Zahl der-<lb/> jenigen, denen durch die Entziehung der freien Wahl ein schweres<lb/> Unrecht widerfährt. Sagen, daß die Frauen vom thätigen Leben<lb/> ausgeschlossen werden müssen, weil die Mutterpflichten sie dazu<lb/> untauglich machen, das heißt in Wahrheit sagen, daß ihnen jeder<lb/> andere Lebensweg verschlossen sein soll, damit der Stand der<lb/> Mutter ihre einzige Zuflucht bleibe.</p><lb/> <p>Aber zweitens, so behauptet man, würden die Frauen, wenn<lb/> ihnen dieselbe Freiheit in der Wahl der Beschäftigungen wie den<lb/> Männern gewährt würde, jene Ueberzahl von Concurrenten noch ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0012]
Ueber Frauenemancipation.
einer anderen zugewendet haben, welche damit unvereinbar ist.
Niemand schlägt vor, das männliche Geschlecht vom Parlament
auszuschließen, weil ein Mann ein Soldat oder ein Matrose
im activen Dienst sein kann, oder ein Kaufmann, dessen Ge-
schäft all seine Zeit und Thatkraft in Anspruch nimmt. Neun
Zehntel der Männer sind de facto durch ihre Beschäftigung eben
so wirksam vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, als ob das Gesetz
sie davon ausschlösse; aber das ist kein Grund dafür, Gesetze zu
erlassen, um diese neun Zehntel, geschweige denn um das noch
übrige Zehntel auszuschließen. Für die Frauen gilt hier genau
dasselbe wie für die Männer. Es ist nicht nothwendig durch ein
Gesetz Vorsorge zu treffen, daß eine Frau nicht in eigener Person
die Geschäfte eines Haushaltes besorgen oder die Erziehung von
Kindern leiten und gleichzeitig ein Arzt oder Anwalt sein oder in's
Parlament gewählt werden dürfe. Wo die Unvereinbarkeit eine
wirkliche ist, wird sie selbst für sich zu sorgen wissen; aber es ist
eine grobe Ungerechtigkeit, diese Unvereinbarkeit zum Vorwand der
Ausschließung derjenigen zu machen, bei denen sie nicht besteht. Und
von solchen würde sich eine sehr große Anzahl finden, wenn man
ihnen freie Wahl ließe. Das Mutterpflichten-Argument läßt seine
Vertreter im Stiche im Falle von ledigen Frauen, eine große und
rasch zunehmende Classe der Bevölkerung, welche Thatsache – es
ist nicht überflüssig, dieses zu bemerken – dadurch daß sie die
übermäßige Concurrenz der Massen verhindert, dazu angethan ist
das Wohl Aller erheblich zu fördern. Es giebt keinen in der
Sache selbst liegenden Grund und keine Nothwendigkeit, warum
alle Frauen sich freiwillig dafür entscheiden sollten, ihr Lebeneiner
animalischen Function und ihren Folgen zu widmen. Zahlreiche
Frauen werden nur darum Gattinnen und Mütter, weil ihnen
keine andere Laufbahn offen steht, kein anderer Spielraum für ihre
Gefühle oder ihre Thätigkeit. Jede Verbesserung ihrer Erziehung
und jede Erweiterung ihrer Fähigkeiten, alles was sie für irgend
eine andere Lebensweise tauglich macht, vergrößert die Zahl der-
jenigen, denen durch die Entziehung der freien Wahl ein schweres
Unrecht widerfährt. Sagen, daß die Frauen vom thätigen Leben
ausgeschlossen werden müssen, weil die Mutterpflichten sie dazu
untauglich machen, das heißt in Wahrheit sagen, daß ihnen jeder
andere Lebensweg verschlossen sein soll, damit der Stand der
Mutter ihre einzige Zuflucht bleibe.
Aber zweitens, so behauptet man, würden die Frauen, wenn
ihnen dieselbe Freiheit in der Wahl der Beschäftigungen wie den
Männern gewährt würde, jene Ueberzahl von Concurrenten noch ver-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2021-07-09T17:21:46Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2021-07-09T17:21:46Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |