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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
Einfluß auszuüben. Allein bei der gegenwärtigen Gestaltung des
menschlichen Lebens wüßten wir jene verhärtenden Einflüsse nicht
aufzufinden, denen die Männer unterworfen, und von denen die
Frauen unberührt sein sollen. Die Einzelnen kommen heutzutage
nur selten in die Lage, Mann gegen Mann auch nur mit fried-
lichen Waffen zu kämpfen; persönliche Feindschaft und Rivalität
spielen keine große Rolle im Weltgetriebe; der allgemeine Druck
der Verhältnisse, nicht das Uebelwollen Einzelner ist das Hinderniß,
gegen welches sich die Menschen heute zu wehren haben. Wenn
dieser Druck übermäßig wird, knickt er den Lebensmuth und
verengt und verbittert das Gemüth, jedoch das der Frauen
nicht weniger als das der Männer, da jene gewiß nicht weniger
als diese unter seinen Uebeln leiden. Es giebt zwar noch
immer Zwist und Gehässigkeit, aber ihre Quellen sind andere ge-
worden, Einst fand der Feudalherr seinen bittersten Feind in
seinem mächtigen Nachbar, der Minister oder Höfling in Jenem,
der ihm seine Stellung streitig machte; aber der Gegensatz der
Jnteressen im thätigen Leben wirkt jetzt nicht mehr als Ursache
persönlicher Feindschaft; die Feindschaften von heutzutage entspringen
mehr aus kleinen Veranlassungen als aus großen, mehr aus dem,
was die Leute über einander sagen als was sie gegen einander
thun, und wenn auch noch Haß, Bosheit und jede Art des Uebel-
wollens zu finden ist, so sind sie es doch unter Frauen ganz in
demselben Maße wie unter Männern. Jm gegenwärtigen Zu-
stande der Civilisation könnte die Absicht, die Frauen vor den ver-
härtenden Einflüssen der Welt zu bewahren, nur so verwirklicht
werden, daß man sie vollständig von der Gesellschaft fernhielte.
Die gewöhnlichen Pflichten des gewöhnlichen Lebens, wie es
jetzt bestellt ist, sind mit jeder anderen Weichheit der Frauen
als mit ihrer Schwäche unverträglich. Und ein schwacher Geist
in einem schwachen Körper wird sicherlich nicht mehr lange für
anziehend oder liebenswürdig auch nur gehalten werden.

Aber in Wahrheit berühren alle diese Argumente und Er-
wägungen in keiner Weise die Grundlagen des Gegenstandes. Die
wirkliche Frage geht dahin, ob es recht und ersprießlich ist, daß die
eine Hälfte der menschlichen Gattung ihr Leben in einem Zustande
erzwungener Unterordnung unter die andere Hälfte zubringen soll.
Wenn es der beste Zustand der menschlichen Gesellschaft ist, in zwei
Theile zu zerfallen, von denen der eine aus Personen mit Willen und
selbständiger Existenz, der andere aus demüthigen Gefährten dieser
Personen besteht, jede einem von den ersteren beigegeben, um
seineKinder zu erziehen und seinHaus ihm angenehm zu

Ueber Frauenemancipation.
Einfluß auszuüben. Allein bei der gegenwärtigen Gestaltung des
menschlichen Lebens wüßten wir jene verhärtenden Einflüsse nicht
aufzufinden, denen die Männer unterworfen, und von denen die
Frauen unberührt sein sollen. Die Einzelnen kommen heutzutage
nur selten in die Lage, Mann gegen Mann auch nur mit fried-
lichen Waffen zu kämpfen; persönliche Feindschaft und Rivalität
spielen keine große Rolle im Weltgetriebe; der allgemeine Druck
der Verhältnisse, nicht das Uebelwollen Einzelner ist das Hinderniß,
gegen welches sich die Menschen heute zu wehren haben. Wenn
dieser Druck übermäßig wird, knickt er den Lebensmuth und
verengt und verbittert das Gemüth, jedoch das der Frauen
nicht weniger als das der Männer, da jene gewiß nicht weniger
als diese unter seinen Uebeln leiden. Es giebt zwar noch
immer Zwist und Gehässigkeit, aber ihre Quellen sind andere ge-
worden, Einst fand der Feudalherr seinen bittersten Feind in
seinem mächtigen Nachbar, der Minister oder Höfling in Jenem,
der ihm seine Stellung streitig machte; aber der Gegensatz der
Jnteressen im thätigen Leben wirkt jetzt nicht mehr als Ursache
persönlicher Feindschaft; die Feindschaften von heutzutage entspringen
mehr aus kleinen Veranlassungen als aus großen, mehr aus dem,
was die Leute über einander sagen als was sie gegen einander
thun, und wenn auch noch Haß, Bosheit und jede Art des Uebel-
wollens zu finden ist, so sind sie es doch unter Frauen ganz in
demselben Maße wie unter Männern. Jm gegenwärtigen Zu-
stande der Civilisation könnte die Absicht, die Frauen vor den ver-
härtenden Einflüssen der Welt zu bewahren, nur so verwirklicht
werden, daß man sie vollständig von der Gesellschaft fernhielte.
Die gewöhnlichen Pflichten des gewöhnlichen Lebens, wie es
jetzt bestellt ist, sind mit jeder anderen Weichheit der Frauen
als mit ihrer Schwäche unverträglich. Und ein schwacher Geist
in einem schwachen Körper wird sicherlich nicht mehr lange für
anziehend oder liebenswürdig auch nur gehalten werden.

Aber in Wahrheit berühren alle diese Argumente und Er-
wägungen in keiner Weise die Grundlagen des Gegenstandes. Die
wirkliche Frage geht dahin, ob es recht und ersprießlich ist, daß die
eine Hälfte der menschlichen Gattung ihr Leben in einem Zustande
erzwungener Unterordnung unter die andere Hälfte zubringen soll.
Wenn es der beste Zustand der menschlichen Gesellschaft ist, in zwei
Theile zu zerfallen, von denen der eine aus Personen mit Willen und
selbständiger Existenz, der andere aus demüthigen Gefährten dieser
Personen besteht, jede einem von den ersteren beigegeben, um
seineKinder zu erziehen und seinHaus ihm angenehm zu

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[15/0015] Ueber Frauenemancipation. Einfluß auszuüben. Allein bei der gegenwärtigen Gestaltung des menschlichen Lebens wüßten wir jene verhärtenden Einflüsse nicht aufzufinden, denen die Männer unterworfen, und von denen die Frauen unberührt sein sollen. Die Einzelnen kommen heutzutage nur selten in die Lage, Mann gegen Mann auch nur mit fried- lichen Waffen zu kämpfen; persönliche Feindschaft und Rivalität spielen keine große Rolle im Weltgetriebe; der allgemeine Druck der Verhältnisse, nicht das Uebelwollen Einzelner ist das Hinderniß, gegen welches sich die Menschen heute zu wehren haben. Wenn dieser Druck übermäßig wird, knickt er den Lebensmuth und verengt und verbittert das Gemüth, jedoch das der Frauen nicht weniger als das der Männer, da jene gewiß nicht weniger als diese unter seinen Uebeln leiden. Es giebt zwar noch immer Zwist und Gehässigkeit, aber ihre Quellen sind andere ge- worden, Einst fand der Feudalherr seinen bittersten Feind in seinem mächtigen Nachbar, der Minister oder Höfling in Jenem, der ihm seine Stellung streitig machte; aber der Gegensatz der Jnteressen im thätigen Leben wirkt jetzt nicht mehr als Ursache persönlicher Feindschaft; die Feindschaften von heutzutage entspringen mehr aus kleinen Veranlassungen als aus großen, mehr aus dem, was die Leute über einander sagen als was sie gegen einander thun, und wenn auch noch Haß, Bosheit und jede Art des Uebel- wollens zu finden ist, so sind sie es doch unter Frauen ganz in demselben Maße wie unter Männern. Jm gegenwärtigen Zu- stande der Civilisation könnte die Absicht, die Frauen vor den ver- härtenden Einflüssen der Welt zu bewahren, nur so verwirklicht werden, daß man sie vollständig von der Gesellschaft fernhielte. Die gewöhnlichen Pflichten des gewöhnlichen Lebens, wie es jetzt bestellt ist, sind mit jeder anderen Weichheit der Frauen als mit ihrer Schwäche unverträglich. Und ein schwacher Geist in einem schwachen Körper wird sicherlich nicht mehr lange für anziehend oder liebenswürdig auch nur gehalten werden. Aber in Wahrheit berühren alle diese Argumente und Er- wägungen in keiner Weise die Grundlagen des Gegenstandes. Die wirkliche Frage geht dahin, ob es recht und ersprießlich ist, daß die eine Hälfte der menschlichen Gattung ihr Leben in einem Zustande erzwungener Unterordnung unter die andere Hälfte zubringen soll. Wenn es der beste Zustand der menschlichen Gesellschaft ist, in zwei Theile zu zerfallen, von denen der eine aus Personen mit Willen und selbständiger Existenz, der andere aus demüthigen Gefährten dieser Personen besteht, jede einem von den ersteren beigegeben, um seineKinder zu erziehen und seinHaus ihm angenehm zu

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/15>, abgerufen am 21.11.2024.