Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.Ueber Frauenemancipation. dem Anderen die der List. Frauen sind in ihrem gegenwärtigenphysischen und moralischen Zustand von stärkeren Jmpulsen be- herrscht als die Männer, und man sollte daher erwarten, daß sie offener und freimüthiger seien als diese; doch werden sie in allen alten Sagen und Ueberlieferungen als falsch und heuch- lerisch geschildert. Warum? Weil sie ihre Ziele nur auf Schleich- wegen erreichen können. Jn allen Ländern, wo die Frauen lebhafte Wünsche und einen thätigen Geist besitzen, tritt diese Folge unaus- weichlich ein, und wenn sie in England weniger auffällig ist als anderswo, so kommt dieß daher, daß die englischen Frauen, verein- zelte Ausnahmen abgerechnet, aufgehört haben, lebhafte Wünsche oder einen thätigen Geist zu besitzen. Wir sprechen jetzt nicht von Fällen, wo etwas, das den Der persönliche Einfluß, welchen die Frauen auf die Männer Ueber Frauenemancipation. dem Anderen die der List. Frauen sind in ihrem gegenwärtigenphysischen und moralischen Zustand von stärkeren Jmpulsen be- herrscht als die Männer, und man sollte daher erwarten, daß sie offener und freimüthiger seien als diese; doch werden sie in allen alten Sagen und Ueberlieferungen als falsch und heuch- lerisch geschildert. Warum? Weil sie ihre Ziele nur auf Schleich- wegen erreichen können. Jn allen Ländern, wo die Frauen lebhafte Wünsche und einen thätigen Geist besitzen, tritt diese Folge unaus- weichlich ein, und wenn sie in England weniger auffällig ist als anderswo, so kommt dieß daher, daß die englischen Frauen, verein- zelte Ausnahmen abgerechnet, aufgehört haben, lebhafte Wünsche oder einen thätigen Geist zu besitzen. Wir sprechen jetzt nicht von Fällen, wo etwas, das den Der persönliche Einfluß, welchen die Frauen auf die Männer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="23"/><fw place="top" type="header">Ueber Frauenemancipation.</fw><lb/> dem Anderen die der List. Frauen sind in ihrem gegenwärtigen<lb/> physischen und moralischen Zustand von stärkeren Jmpulsen be-<lb/> herrscht als die Männer, und man sollte daher erwarten, daß<lb/> sie offener und freimüthiger seien als diese; doch werden sie<lb/> in allen alten Sagen und Ueberlieferungen als falsch und heuch-<lb/> lerisch geschildert. Warum? Weil sie ihre Ziele nur auf Schleich-<lb/> wegen erreichen können. Jn allen Ländern, wo die Frauen lebhafte<lb/> Wünsche und einen thätigen Geist besitzen, tritt diese Folge unaus-<lb/> weichlich ein, und wenn sie in England weniger auffällig ist als<lb/> anderswo, so kommt dieß daher, daß die englischen Frauen, verein-<lb/> zelte Ausnahmen abgerechnet, aufgehört haben, lebhafte Wünsche<lb/> oder einen thätigen Geist zu besitzen.</p><lb/> <p>Wir sprechen jetzt nicht von Fällen, wo etwas, das den<lb/> Namen einer starken Zuneigung verdient, auf beiden Seiten vor-<lb/> handen ist. Wo eine solche vorkommt, ist sie ein zu mächtiger<lb/> Factor, um nicht die schlechten Einflüsse der gegenseitigen Stellung<lb/> wesentlich zu mildern; doch kann sie dieselben nur selten gänzlich<lb/> zerstören. Viel häufiger sind die schlechten Einflüsse zu stark für<lb/> die Zuneigung und zerstören diese. Die höchste Art dauerhaften<lb/> ehelichen Glückes würde hundertmal häufiger vorkommen, als es der<lb/> Fall ist, wenn das Gefühl, das beide Geschlechter von einander<lb/> verlangen, jene ächte Freundschaft wäre, die nur zwischen Personen<lb/> bestehen kann, die einander an Rechten und an Fähigkeiten gleich<lb/> sind. Aber an dem, was gewöhnlich im ehelichen Leben Zunei-<lb/> gung genannt wird – das gewohnheitsmäßige und fast mechanische<lb/> Gefühl von Wohlwollen und wechselseitigem Behagen, das in der<lb/> Regel zwischen Personen, die stets mit einander verkehren, erwächst,<lb/> wenn sie sich nicht geradezu abstoßen, – an diesem ist nichts, was<lb/> den unheilvollen Einflüssen der Ungleichheit entgegenwirken oder sie<lb/> modificiren könnte. Solche Gefühle bestehen oft zwischen einem<lb/> Sultan und seinen Favoritinnen, einem Herrn und seinen Dienern;<lb/> sie sind nur Beispiele von der Biegsamkeit der menschlichen Natur,<lb/> welche sich in gewissem Maße selbst in die schlimmsten Verhältnisse<lb/> zu schicken weiß, und zwar vermögen das die gemeinsten Naturen<lb/> immer am leichtesten.</p><lb/> <p>Der persönliche Einfluß, welchen die Frauen auf die Männer<lb/> ausüben, macht dieselben ohne Zweifel weniger schroff und hart;<lb/> in roheren Zeiten war dieß oft der einzige besänftigende Einfluß,<lb/> dem sie zugänglich waren. Aber die Behauptung, daß der Einfluß<lb/> des Weibes den Mann weniger selbstsüchtig macht, enthält, wie die<lb/> Dinge jetzt stehen, genau so viel Jrrthum als Wahrheit. Dem<lb/> Egoismus gegen das Weib selbst und gegen diejenigen, die ihr am<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [23/0023]
Ueber Frauenemancipation.
dem Anderen die der List. Frauen sind in ihrem gegenwärtigen
physischen und moralischen Zustand von stärkeren Jmpulsen be-
herrscht als die Männer, und man sollte daher erwarten, daß
sie offener und freimüthiger seien als diese; doch werden sie
in allen alten Sagen und Ueberlieferungen als falsch und heuch-
lerisch geschildert. Warum? Weil sie ihre Ziele nur auf Schleich-
wegen erreichen können. Jn allen Ländern, wo die Frauen lebhafte
Wünsche und einen thätigen Geist besitzen, tritt diese Folge unaus-
weichlich ein, und wenn sie in England weniger auffällig ist als
anderswo, so kommt dieß daher, daß die englischen Frauen, verein-
zelte Ausnahmen abgerechnet, aufgehört haben, lebhafte Wünsche
oder einen thätigen Geist zu besitzen.
Wir sprechen jetzt nicht von Fällen, wo etwas, das den
Namen einer starken Zuneigung verdient, auf beiden Seiten vor-
handen ist. Wo eine solche vorkommt, ist sie ein zu mächtiger
Factor, um nicht die schlechten Einflüsse der gegenseitigen Stellung
wesentlich zu mildern; doch kann sie dieselben nur selten gänzlich
zerstören. Viel häufiger sind die schlechten Einflüsse zu stark für
die Zuneigung und zerstören diese. Die höchste Art dauerhaften
ehelichen Glückes würde hundertmal häufiger vorkommen, als es der
Fall ist, wenn das Gefühl, das beide Geschlechter von einander
verlangen, jene ächte Freundschaft wäre, die nur zwischen Personen
bestehen kann, die einander an Rechten und an Fähigkeiten gleich
sind. Aber an dem, was gewöhnlich im ehelichen Leben Zunei-
gung genannt wird – das gewohnheitsmäßige und fast mechanische
Gefühl von Wohlwollen und wechselseitigem Behagen, das in der
Regel zwischen Personen, die stets mit einander verkehren, erwächst,
wenn sie sich nicht geradezu abstoßen, – an diesem ist nichts, was
den unheilvollen Einflüssen der Ungleichheit entgegenwirken oder sie
modificiren könnte. Solche Gefühle bestehen oft zwischen einem
Sultan und seinen Favoritinnen, einem Herrn und seinen Dienern;
sie sind nur Beispiele von der Biegsamkeit der menschlichen Natur,
welche sich in gewissem Maße selbst in die schlimmsten Verhältnisse
zu schicken weiß, und zwar vermögen das die gemeinsten Naturen
immer am leichtesten.
Der persönliche Einfluß, welchen die Frauen auf die Männer
ausüben, macht dieselben ohne Zweifel weniger schroff und hart;
in roheren Zeiten war dieß oft der einzige besänftigende Einfluß,
dem sie zugänglich waren. Aber die Behauptung, daß der Einfluß
des Weibes den Mann weniger selbstsüchtig macht, enthält, wie die
Dinge jetzt stehen, genau so viel Jrrthum als Wahrheit. Dem
Egoismus gegen das Weib selbst und gegen diejenigen, die ihr am
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(2021-07-09T17:21:46Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition.
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