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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
nicht nach dem, was man ihre Emancipation nennt. Jm Gegen-
theil; sie weisen jede Gemeinschaft mit den Ansprüchen, die für sie
erhoben werden, zurück und fallen mit Erbitterung über jede unter
ihnen her, welche für ihre gemeinsame Sache eintritt.

Nehmen wir an, daß diese Thatsache im weitesten Umfang, in
dem sie jemals behauptet wurde, wahr ist; wenn sie dann beweist,
daß die europäischen Frauen so bleiben sollen, wie sie sind, so be-
weist sie genau dasselbe für die Frauen Asiens; denn auch diese sind
stolz auf ihre Abgeschlossenheit von der Welt und auf den Zwang
unter dem sie stehen, anstatt darüber zu murren, und sie staunen
über die Schamlosigkeit der Frauen, welche männliche Besuche em-
pfangen und sich unverschleiert auf der Straße blicken lassen. Die
Gewöhnung an die Unterwerfung erzeugt eben bei Frauen wie
bei Männern knechtische Gesinnung. Die Millionen Asiens sehnen
sich nicht nach politischer Freiheit, die sie nicht zu schätzen wissen
und wahrscheinlich nicht annehmen würden; ebenso verhalten sich
die Wilden des Busches zur Civilisation; aber das beweist nicht,
daß diese Dinge für sie nicht wünschenswerth sind, und daß sie
dieselben nicht in irgend einer künftigen Zeit genießen werden. Die
Gewöhnung härtet menschliche Wesen gegen jede Art der Ernied-
rigung ab, indem sie den widerstrebenden Theil ihrer Natur ab-
tödtet. Und der Fall der Frauen ist in dieser Hinsicht noch ein
besonderer; denn es ist uns nicht bekannt, daß jemals eine
andere dienstbar gemachte Classe unterwiesen wurde, ihre Ernied-
rigung als eine Ehre anzusehen. Doch ist in diesem Argument
das stille Eingeständniß enthalten, daß die angebliche Vorliebe der
Frauen für ihre abhängige Stellung nur eine scheinbare ist und
aus dem Mangel jeder freien Wahl hervorgeht; denn, wäre die
Vorliebe eine natürliche, so könnte keine Nothwendigkeit vorhanden
sein sie durch Gesetze zu erzwingen. Es hat noch kein Gesetzgeber
es nothwendig befunden Gesetze zu erlassen um die Leute zu
zwingen ihrer Neigung zu folgen. Die Ausflucht, daß die Frauen
keine Veränderung wünschen, ist dieselbe, die seit unvordenklichen
Zeiten immer und immer wieder gegen den Vorschlag der Ab-
schaffung eines socialen Uebels vorgebracht wurde: "es ist keine Klage
vorhanden", - was gewöhnlich nicht wahr oder doch nur darum
wahr ist, weil nicht jene Hoffnung auf Erfolg vorhanden ist, ohne
welche die Klage sich selten vor ungeneigten Ohren vernehmen läßt.
Woher weiß unser Gegner, daß die Frauen Gleichheit und Frei-
heit nicht begehren? Er hat wohl keine Frau kennen gelernt,
welche diese Güter nicht für sich selbst begehrte oder begehren
würde. Es wäre aber sicher einfältig, zu glauben, daß sie, wenn sie

Ueber Frauenemancipation.
nicht nach dem, was man ihre Emancipation nennt. Jm Gegen-
theil; sie weisen jede Gemeinschaft mit den Ansprüchen, die für sie
erhoben werden, zurück und fallen mit Erbitterung über jede unter
ihnen her, welche für ihre gemeinsame Sache eintritt.

Nehmen wir an, daß diese Thatsache im weitesten Umfang, in
dem sie jemals behauptet wurde, wahr ist; wenn sie dann beweist,
daß die europäischen Frauen so bleiben sollen, wie sie sind, so be-
weist sie genau dasselbe für die Frauen Asiens; denn auch diese sind
stolz auf ihre Abgeschlossenheit von der Welt und auf den Zwang
unter dem sie stehen, anstatt darüber zu murren, und sie staunen
über die Schamlosigkeit der Frauen, welche männliche Besuche em-
pfangen und sich unverschleiert auf der Straße blicken lassen. Die
Gewöhnung an die Unterwerfung erzeugt eben bei Frauen wie
bei Männern knechtische Gesinnung. Die Millionen Asiens sehnen
sich nicht nach politischer Freiheit, die sie nicht zu schätzen wissen
und wahrscheinlich nicht annehmen würden; ebenso verhalten sich
die Wilden des Busches zur Civilisation; aber das beweist nicht,
daß diese Dinge für sie nicht wünschenswerth sind, und daß sie
dieselben nicht in irgend einer künftigen Zeit genießen werden. Die
Gewöhnung härtet menschliche Wesen gegen jede Art der Ernied-
rigung ab, indem sie den widerstrebenden Theil ihrer Natur ab-
tödtet. Und der Fall der Frauen ist in dieser Hinsicht noch ein
besonderer; denn es ist uns nicht bekannt, daß jemals eine
andere dienstbar gemachte Classe unterwiesen wurde, ihre Ernied-
rigung als eine Ehre anzusehen. Doch ist in diesem Argument
das stille Eingeständniß enthalten, daß die angebliche Vorliebe der
Frauen für ihre abhängige Stellung nur eine scheinbare ist und
aus dem Mangel jeder freien Wahl hervorgeht; denn, wäre die
Vorliebe eine natürliche, so könnte keine Nothwendigkeit vorhanden
sein sie durch Gesetze zu erzwingen. Es hat noch kein Gesetzgeber
es nothwendig befunden Gesetze zu erlassen um die Leute zu
zwingen ihrer Neigung zu folgen. Die Ausflucht, daß die Frauen
keine Veränderung wünschen, ist dieselbe, die seit unvordenklichen
Zeiten immer und immer wieder gegen den Vorschlag der Ab-
schaffung eines socialen Uebels vorgebracht wurde: „es ist keine Klage
vorhanden“, – was gewöhnlich nicht wahr oder doch nur darum
wahr ist, weil nicht jene Hoffnung auf Erfolg vorhanden ist, ohne
welche die Klage sich selten vor ungeneigten Ohren vernehmen läßt.
Woher weiß unser Gegner, daß die Frauen Gleichheit und Frei-
heit nicht begehren? Er hat wohl keine Frau kennen gelernt,
welche diese Güter nicht für sich selbst begehrte oder begehren
würde. Es wäre aber sicher einfältig, zu glauben, daß sie, wenn sie

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[26/0026] Ueber Frauenemancipation. nicht nach dem, was man ihre Emancipation nennt. Jm Gegen- theil; sie weisen jede Gemeinschaft mit den Ansprüchen, die für sie erhoben werden, zurück und fallen mit Erbitterung über jede unter ihnen her, welche für ihre gemeinsame Sache eintritt. Nehmen wir an, daß diese Thatsache im weitesten Umfang, in dem sie jemals behauptet wurde, wahr ist; wenn sie dann beweist, daß die europäischen Frauen so bleiben sollen, wie sie sind, so be- weist sie genau dasselbe für die Frauen Asiens; denn auch diese sind stolz auf ihre Abgeschlossenheit von der Welt und auf den Zwang unter dem sie stehen, anstatt darüber zu murren, und sie staunen über die Schamlosigkeit der Frauen, welche männliche Besuche em- pfangen und sich unverschleiert auf der Straße blicken lassen. Die Gewöhnung an die Unterwerfung erzeugt eben bei Frauen wie bei Männern knechtische Gesinnung. Die Millionen Asiens sehnen sich nicht nach politischer Freiheit, die sie nicht zu schätzen wissen und wahrscheinlich nicht annehmen würden; ebenso verhalten sich die Wilden des Busches zur Civilisation; aber das beweist nicht, daß diese Dinge für sie nicht wünschenswerth sind, und daß sie dieselben nicht in irgend einer künftigen Zeit genießen werden. Die Gewöhnung härtet menschliche Wesen gegen jede Art der Ernied- rigung ab, indem sie den widerstrebenden Theil ihrer Natur ab- tödtet. Und der Fall der Frauen ist in dieser Hinsicht noch ein besonderer; denn es ist uns nicht bekannt, daß jemals eine andere dienstbar gemachte Classe unterwiesen wurde, ihre Ernied- rigung als eine Ehre anzusehen. Doch ist in diesem Argument das stille Eingeständniß enthalten, daß die angebliche Vorliebe der Frauen für ihre abhängige Stellung nur eine scheinbare ist und aus dem Mangel jeder freien Wahl hervorgeht; denn, wäre die Vorliebe eine natürliche, so könnte keine Nothwendigkeit vorhanden sein sie durch Gesetze zu erzwingen. Es hat noch kein Gesetzgeber es nothwendig befunden Gesetze zu erlassen um die Leute zu zwingen ihrer Neigung zu folgen. Die Ausflucht, daß die Frauen keine Veränderung wünschen, ist dieselbe, die seit unvordenklichen Zeiten immer und immer wieder gegen den Vorschlag der Ab- schaffung eines socialen Uebels vorgebracht wurde: „es ist keine Klage vorhanden“, – was gewöhnlich nicht wahr oder doch nur darum wahr ist, weil nicht jene Hoffnung auf Erfolg vorhanden ist, ohne welche die Klage sich selten vor ungeneigten Ohren vernehmen läßt. Woher weiß unser Gegner, daß die Frauen Gleichheit und Frei- heit nicht begehren? Er hat wohl keine Frau kennen gelernt, welche diese Güter nicht für sich selbst begehrte oder begehren würde. Es wäre aber sicher einfältig, zu glauben, daß sie, wenn sie

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/26>, abgerufen am 21.11.2024.