Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Wer sie nicht kennt, kann sich, wenn der Feind kommt, nicht vertheidigen. -- Mach dich bey Zeiten mit deinem Feind bekannt, mit alle dem, was dich umgibt, und dich am meisten zur Ausschweifung hinrcißt damit du Waffen zu der Zeit des Friedens anlegest! Sonst ist alle Gegenwehr zu spät. Jm Tumult der Leidenschaften wirst du die Vertheidi- gung vergessen. -- Wer sich selber kennt, der kennt auch andre Menschen. Die Grundtriebe der Seele sind sich, ihrer Anlage nach, fast immer gleich. Du wirst finden, daß Eigenliebe, die im Grunde gut, und der, jedem lebenden Geschöpf vom Schöpfer einge- pflanzte Trieb der Selbsterhaltung ist, stets die Haupttriebfeder bleibt, die die Seele in Bewegung bringt. Verschiedne Charaktere bilden sich nur durch die Verschiedenheit der Aeusserungen dieses Grund- triebs. So entstehen Geldgier, Ehrgeiz, Hang zur Wollust, Edelmuth und Menschenliebe, je nach- dem wir glauben, durch das eine mehr, als durch das andre, unsre Eigenliebe zu befriedigen. Kentnis deiner selbst und deines eignen Her- zens wird dich in Beurtheilung andrer Men- schen billiger machen. Die besondre Lage, Verfas- sung, und Verbindung eines Herzens, worinn es Wer ſie nicht kennt, kann ſich, wenn der Feind kommt, nicht vertheidigen. — Mach dich bey Zeiten mit deinem Feind bekannt, mit alle dem, was dich umgibt, und dich am meiſten zur Ausſchweifung hinrcißt damit du Waffen zu der Zeit des Friedens anlegeſt! Sonſt iſt alle Gegenwehr zu ſpaͤt. Jm Tumult der Leidenſchaften wirſt du die Vertheidi- gung vergeſſen. — Wer ſich ſelber kennt, der kennt auch andre Menſchen. Die Grundtriebe der Seele ſind ſich, ihrer Anlage nach, faſt immer gleich. Du wirſt finden, daß Eigenliebe, die im Grunde gut, und der, jedem lebenden Geſchoͤpf vom Schoͤpfer einge- pflanzte Trieb der Selbſterhaltung iſt, ſtets die Haupttriebfeder bleibt, die die Seele in Bewegung bringt. Verſchiedne Charaktere bilden ſich nur durch die Verſchiedenheit der Aeuſſerungen dieſes Grund- triebs. So entſtehen Geldgier, Ehrgeiz, Hang zur Wolluſt, Edelmuth und Menſchenliebe, je nach- dem wir glauben, durch das eine mehr, als durch das andre, unſre Eigenliebe zu befriedigen. Kentnis deiner ſelbſt und deines eignen Her- zens wird dich in Beurtheilung andrer Men- ſchen billiger machen. Die beſondre Lage, Verfaſ- ſung, und Verbindung eines Herzens, worinn es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <list> <item><pb facs="#f0106" n="102"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Wer ſie nicht kennt, kann ſich, wenn der Feind<lb/> kommt, nicht vertheidigen. — Mach dich bey Zeiten<lb/> mit deinem Feind bekannt, mit alle dem, was dich<lb/> umgibt, und dich am meiſten zur Ausſchweifung<lb/> hinrcißt damit du Waffen zu der Zeit des Friedens<lb/> anlegeſt! Sonſt iſt alle Gegenwehr zu ſpaͤt. Jm<lb/> Tumult der Leidenſchaften wirſt du die Vertheidi-<lb/> gung vergeſſen. —</item><lb/> <item>Wer <hi rendition="#fr">ſich ſelber kennt,</hi> der <hi rendition="#fr">kennt</hi> auch <hi rendition="#fr">andre<lb/> Menſchen.</hi> Die Grundtriebe der Seele ſind ſich,<lb/> ihrer Anlage nach, faſt immer gleich. Du wirſt<lb/> finden, daß <hi rendition="#fr">Eigenliebe,</hi> die im Grunde gut, und<lb/> der, jedem lebenden Geſchoͤpf vom Schoͤpfer einge-<lb/> pflanzte Trieb der <hi rendition="#fr">Selbſterhaltung</hi> iſt, ſtets die<lb/> Haupttriebfeder bleibt, die die Seele in Bewegung<lb/> bringt. Verſchiedne Charaktere bilden ſich nur durch<lb/> die Verſchiedenheit der Aeuſſerungen dieſes Grund-<lb/> triebs. So entſtehen Geldgier, Ehrgeiz, Hang<lb/> zur Wolluſt, Edelmuth und Menſchenliebe, je nach-<lb/> dem wir glauben, durch das eine mehr, als durch<lb/> das andre, unſre Eigenliebe zu befriedigen.</item><lb/> <item>Kentnis deiner ſelbſt und deines eignen Her-<lb/> zens wird dich in <hi rendition="#fr">Beurtheilung andrer Men-<lb/> ſchen</hi> billiger machen. Die beſondre Lage, Verfaſ-<lb/> ſung, und Verbindung eines Herzens, worinn es<lb/></item> </list> </div> </body> </text> </TEI> [102/0106]
Wer ſie nicht kennt, kann ſich, wenn der Feind
kommt, nicht vertheidigen. — Mach dich bey Zeiten
mit deinem Feind bekannt, mit alle dem, was dich
umgibt, und dich am meiſten zur Ausſchweifung
hinrcißt damit du Waffen zu der Zeit des Friedens
anlegeſt! Sonſt iſt alle Gegenwehr zu ſpaͤt. Jm
Tumult der Leidenſchaften wirſt du die Vertheidi-
gung vergeſſen. —
Wer ſich ſelber kennt, der kennt auch andre
Menſchen. Die Grundtriebe der Seele ſind ſich,
ihrer Anlage nach, faſt immer gleich. Du wirſt
finden, daß Eigenliebe, die im Grunde gut, und
der, jedem lebenden Geſchoͤpf vom Schoͤpfer einge-
pflanzte Trieb der Selbſterhaltung iſt, ſtets die
Haupttriebfeder bleibt, die die Seele in Bewegung
bringt. Verſchiedne Charaktere bilden ſich nur durch
die Verſchiedenheit der Aeuſſerungen dieſes Grund-
triebs. So entſtehen Geldgier, Ehrgeiz, Hang
zur Wolluſt, Edelmuth und Menſchenliebe, je nach-
dem wir glauben, durch das eine mehr, als durch
das andre, unſre Eigenliebe zu befriedigen.
Kentnis deiner ſelbſt und deines eignen Her-
zens wird dich in Beurtheilung andrer Men-
ſchen billiger machen. Die beſondre Lage, Verfaſ-
ſung, und Verbindung eines Herzens, worinn es
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |