Therese. Ja, Herr Pfarrer, das ist wahr; in der Stadt möcht ich auch nicht leben. O Sie hätten gestern unsern Garten sehen sollen, wenn's noch Zeit gewesen wäre! Da blüht alles auch so voll. Der Apfelbaum an des Papa Zimmer ist besonders schön. Man glaubt, er sey überschneyt, so weiß ist er. Und der Zuckerbirnbaum; schö- ners kann man gar nicht sehen. ... Ey, da kommt ja ein Baurenmädchen hergewackelt! Was das Kind für schöne blaue Augen hat; und so ein offenes Gesicht!
Pfarrer. Das ist meines Nachbars Ma- riekchen; da hab ich so meine Freude mit, und spiele manchesmal mit ihr. Jch kann mir nichts liebers denken, als so ein kleines unschuldiges Ge- schöpf, wenn's so eben zu sprechen anfängt. Al- les ist so natürlich, und so unverdorben! -- -- Komm, Mariekchen! Küß das Händchen von der Jungfer, da! Darfst dir nicht fürchten; Sie hat die Kinder auch lieb. . Komm! verneig dich schön! -- So!
Und nun nahm der liebe Mann das Kind auf den Arm; küßte und herzte es, brach ihm Blumen aus dem Gras ab; nahm sein Händ- chen in den Mund; das andre war um seinen
Thereſe. Ja, Herr Pfarrer, das iſt wahr; in der Stadt moͤcht ich auch nicht leben. O Sie haͤtten geſtern unſern Garten ſehen ſollen, wenn’s noch Zeit geweſen waͤre! Da bluͤht alles auch ſo voll. Der Apfelbaum an des Papa Zimmer iſt beſonders ſchoͤn. Man glaubt, er ſey uͤberſchneyt, ſo weiß iſt er. Und der Zuckerbirnbaum; ſchoͤ- ners kann man gar nicht ſehen. … Ey, da kommt ja ein Baurenmaͤdchen hergewackelt! Was das Kind fuͤr ſchoͤne blaue Augen hat; und ſo ein offenes Geſicht!
Pfarrer. Das iſt meines Nachbars Ma- riekchen; da hab ich ſo meine Freude mit, und ſpiele manchesmal mit ihr. Jch kann mir nichts liebers denken, als ſo ein kleines unſchuldiges Ge- ſchoͤpf, wenn’s ſo eben zu ſprechen anfaͤngt. Al- les iſt ſo natuͤrlich, und ſo unverdorben! — — Komm, Mariekchen! Kuͤß das Haͤndchen von der Jungfer, da! Darfſt dir nicht fuͤrchten; Sie hat die Kinder auch lieb. . Komm! verneig dich ſchoͤn! — So!
Und nun nahm der liebe Mann das Kind auf den Arm; kuͤßte und herzte es, brach ihm Blumen aus dem Gras ab; nahm ſein Haͤnd- chen in den Mund; das andre war um ſeinen
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Thereſe. Ja, Herr Pfarrer, das iſt wahr;
in der Stadt moͤcht ich auch nicht leben. O Sie
haͤtten geſtern unſern Garten ſehen ſollen, wenn’s
noch Zeit geweſen waͤre! Da bluͤht alles auch ſo
voll. Der Apfelbaum an des Papa Zimmer iſt
beſonders ſchoͤn. Man glaubt, er ſey uͤberſchneyt,
ſo weiß iſt er. Und der Zuckerbirnbaum; ſchoͤ-
ners kann man gar nicht ſehen. … Ey, da
kommt ja ein Baurenmaͤdchen hergewackelt! Was
das Kind fuͤr ſchoͤne blaue Augen hat; und ſo
ein offenes Geſicht!
Pfarrer. Das iſt meines Nachbars Ma-
riekchen; da hab ich ſo meine Freude mit, und
ſpiele manchesmal mit ihr. Jch kann mir nichts
liebers denken, als ſo ein kleines unſchuldiges Ge-
ſchoͤpf, wenn’s ſo eben zu ſprechen anfaͤngt. Al-
les iſt ſo natuͤrlich, und ſo unverdorben! — —
Komm, Mariekchen! Kuͤß das Haͤndchen von
der Jungfer, da! Darfſt dir nicht fuͤrchten; Sie
hat die Kinder auch lieb. . Komm! verneig dich
ſchoͤn! — So!
Und nun nahm der liebe Mann das Kind
auf den Arm; kuͤßte und herzte es, brach ihm
Blumen aus dem Gras ab; nahm ſein Haͤnd-
chen in den Mund; das andre war um ſeinen
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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