Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Thaten. Bey ihrer stillen Tugend, bey ihrer menschlichen Zärtlichkeit flossen seine Thränen; aber alle, die nur Helden, oder Menschenwür- ger, und Unterdrücker eines freygebohrnen Vol- kes waren, haßte und verabscheute er. So die Schriftsteller zu lesen, und sich durch die Geschich- te menschlicher zu bilden, hatte ihn P. Philipp gelehrt, dem kein Zug im Charakter eines Men- schen entgieng, der das Herz erhöhen und vere- deln konnte. Die Religion ward ihm von P. Johann auch vernünftiger und einwürkender bey- gebracht, als gewöhnlich. Da der brave Mann, bey seinen vielen Unglücksfällen, und bey seinem schwachen Körper aus der Erfahrung gelernt hat- te, wie wenig Streitigkeiten, und künstliche Be- stimmungen und Einschränkungen von Dingen, die uns unerklärlich sind, und oft seyn sollen, zur Beruhigung des Herzens und zum Trost im Elend beytragen, so flößte er seinen Schülern nur den Geist und Saft der Religion ein, das heißt: die Lehren Jesu und seiner Apostel, die alle, sowol für unser eigen Herz, als auch für andre Men- schen wohlthätig sind, und deren Kentnis und Ausübung uns allein in der letzten Stunde trö- sten kann. Er suchte seine Schüler durch die Re- Thaten. Bey ihrer ſtillen Tugend, bey ihrer menſchlichen Zaͤrtlichkeit floſſen ſeine Thraͤnen; aber alle, die nur Helden, oder Menſchenwuͤr- ger, und Unterdruͤcker eines freygebohrnen Vol- kes waren, haßte und verabſcheute er. So die Schriftſteller zu leſen, und ſich durch die Geſchich- te menſchlicher zu bilden, hatte ihn P. Philipp gelehrt, dem kein Zug im Charakter eines Men- ſchen entgieng, der das Herz erhoͤhen und vere- deln konnte. Die Religion ward ihm von P. Johann auch vernuͤnftiger und einwuͤrkender bey- gebracht, als gewoͤhnlich. Da der brave Mann, bey ſeinen vielen Ungluͤcksfaͤllen, und bey ſeinem ſchwachen Koͤrper aus der Erfahrung gelernt hat- te, wie wenig Streitigkeiten, und kuͤnſtliche Be- ſtimmungen und Einſchraͤnkungen von Dingen, die uns unerklaͤrlich ſind, und oft ſeyn ſollen, zur Beruhigung des Herzens und zum Troſt im Elend beytragen, ſo floͤßte er ſeinen Schuͤlern nur den Geiſt und Saft der Religion ein, das heißt: die Lehren Jeſu und ſeiner Apoſtel, die alle, ſowol fuͤr unſer eigen Herz, als auch fuͤr andre Men- ſchen wohlthaͤtig ſind, und deren Kentnis und Ausuͤbung uns allein in der letzten Stunde troͤ- ſten kann. Er ſuchte ſeine Schuͤler durch die Re- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0189" n="185"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Thaten. Bey ihrer ſtillen Tugend, bey ihrer<lb/> menſchlichen Zaͤrtlichkeit floſſen ſeine Thraͤnen;<lb/> aber alle, die nur Helden, oder Menſchenwuͤr-<lb/> ger, und Unterdruͤcker eines freygebohrnen Vol-<lb/> kes waren, haßte und verabſcheute er. So die<lb/> Schriftſteller zu leſen, und ſich durch die Geſchich-<lb/> te menſchlicher zu bilden, hatte ihn P. <hi rendition="#fr">Philipp</hi><lb/> gelehrt, dem kein Zug im Charakter eines Men-<lb/> ſchen entgieng, der das Herz erhoͤhen und vere-<lb/> deln konnte. Die Religion ward ihm von P.<lb/> Johann auch vernuͤnftiger und einwuͤrkender bey-<lb/> gebracht, als gewoͤhnlich. Da der brave Mann,<lb/> bey ſeinen vielen Ungluͤcksfaͤllen, und bey ſeinem<lb/> ſchwachen Koͤrper aus der Erfahrung gelernt hat-<lb/> te, wie wenig Streitigkeiten, und kuͤnſtliche Be-<lb/> ſtimmungen und Einſchraͤnkungen von Dingen,<lb/> die uns unerklaͤrlich ſind, und oft ſeyn ſollen, zur<lb/> Beruhigung des Herzens und zum Troſt im Elend<lb/> beytragen, ſo floͤßte er ſeinen Schuͤlern nur den<lb/> Geiſt und Saft der Religion ein, das heißt: die<lb/> Lehren Jeſu und ſeiner Apoſtel, die alle, ſowol<lb/> fuͤr unſer eigen Herz, als auch fuͤr andre Men-<lb/> ſchen wohlthaͤtig ſind, und deren Kentnis und<lb/> Ausuͤbung uns allein in der letzten Stunde troͤ-<lb/> ſten kann. Er ſuchte ſeine Schuͤler durch die Re-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [185/0189]
Thaten. Bey ihrer ſtillen Tugend, bey ihrer
menſchlichen Zaͤrtlichkeit floſſen ſeine Thraͤnen;
aber alle, die nur Helden, oder Menſchenwuͤr-
ger, und Unterdruͤcker eines freygebohrnen Vol-
kes waren, haßte und verabſcheute er. So die
Schriftſteller zu leſen, und ſich durch die Geſchich-
te menſchlicher zu bilden, hatte ihn P. Philipp
gelehrt, dem kein Zug im Charakter eines Men-
ſchen entgieng, der das Herz erhoͤhen und vere-
deln konnte. Die Religion ward ihm von P.
Johann auch vernuͤnftiger und einwuͤrkender bey-
gebracht, als gewoͤhnlich. Da der brave Mann,
bey ſeinen vielen Ungluͤcksfaͤllen, und bey ſeinem
ſchwachen Koͤrper aus der Erfahrung gelernt hat-
te, wie wenig Streitigkeiten, und kuͤnſtliche Be-
ſtimmungen und Einſchraͤnkungen von Dingen,
die uns unerklaͤrlich ſind, und oft ſeyn ſollen, zur
Beruhigung des Herzens und zum Troſt im Elend
beytragen, ſo floͤßte er ſeinen Schuͤlern nur den
Geiſt und Saft der Religion ein, das heißt: die
Lehren Jeſu und ſeiner Apoſtel, die alle, ſowol
fuͤr unſer eigen Herz, als auch fuͤr andre Men-
ſchen wohlthaͤtig ſind, und deren Kentnis und
Ausuͤbung uns allein in der letzten Stunde troͤ-
ſten kann. Er ſuchte ſeine Schuͤler durch die Re-
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