Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.zu sprechen, in den Arm. Das gute Mädchen weinte vor Freuden, und drückte ihrem Bruder einen heissen Kuß voll schwesterlicher Liebe auf den Mund. Ach, mein lieber Xaver, hab ich dich denn wieder? O du Herzensbruder, diese Freude hab ich mir so lange schon gewünscht! -- Nun kam der Wagen näher, Kronhelm sprang heraus. Sie empfieng ihn mit einer Freudig- keit, und mit einem Lächeln, das seine ganze Seele durchdrang. Jhr Betragen war natürlich, ungezwungen, munter, und doch nichts weniger, als frey. Sie unterhielt durch ihre Lebhaftigkeit ihn und ihren Bruder, und wuste ihre Aufmerk- samkeit auf beyde aufs geschickteste zu theilen, Beynahe hab ich mir Jhr Aussehen so vorge- stellt, Herr von Kronhelm! sagte sie; aber doch nicht völlig. Nun wünsch ich nur, daß Sie bey uns Geduld haben, und sich die Zeit nicht lang werden lassen mögen! Am guten Willen solls nicht fehlen, Sie zu unterhalten, aber ob wir auch die Kräfte haben? Doch ich weis, Sie nehmen auch mit dem guten Willen vorlieb, ha- ben Sies doch bey meinen Briesen gethan. Dann frug sie nach dem P. Philipp. und nach andern Dingen. Jhren Bruder betrachtete sie zu ſprechen, in den Arm. Das gute Maͤdchen weinte vor Freuden, und druͤckte ihrem Bruder einen heiſſen Kuß voll ſchweſterlicher Liebe auf den Mund. Ach, mein lieber Xaver, hab ich dich denn wieder? O du Herzensbruder, dieſe Freude hab ich mir ſo lange ſchon gewuͤnſcht! — Nun kam der Wagen naͤher, Kronhelm ſprang heraus. Sie empfieng ihn mit einer Freudig- keit, und mit einem Laͤcheln, das ſeine ganze Seele durchdrang. Jhr Betragen war natuͤrlich, ungezwungen, munter, und doch nichts weniger, als frey. Sie unterhielt durch ihre Lebhaftigkeit ihn und ihren Bruder, und wuſte ihre Aufmerk- ſamkeit auf beyde aufs geſchickteſte zu theilen, Beynahe hab ich mir Jhr Ausſehen ſo vorge- ſtellt, Herr von Kronhelm! ſagte ſie; aber doch nicht voͤllig. Nun wuͤnſch ich nur, daß Sie bey uns Geduld haben, und ſich die Zeit nicht lang werden laſſen moͤgen! Am guten Willen ſolls nicht fehlen, Sie zu unterhalten, aber ob wir auch die Kraͤfte haben? Doch ich weis, Sie nehmen auch mit dem guten Willen vorlieb, ha- ben Sies doch bey meinen Brieſen gethan. Dann frug ſie nach dem P. Philipp. und nach andern Dingen. Jhren Bruder betrachtete ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0343" n="339"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> zu ſprechen, in den Arm. Das gute Maͤdchen<lb/> weinte vor Freuden, und druͤckte ihrem Bruder<lb/> einen heiſſen Kuß voll ſchweſterlicher Liebe auf<lb/> den Mund. Ach, mein lieber <hi rendition="#fr">Xaver,</hi> hab ich<lb/> dich denn wieder? O du Herzensbruder, dieſe<lb/> Freude hab ich mir ſo lange ſchon gewuͤnſcht! —<lb/> Nun kam der Wagen naͤher, <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> ſprang<lb/> heraus. Sie empfieng ihn mit einer Freudig-<lb/> keit, und mit einem Laͤcheln, das ſeine ganze<lb/> Seele durchdrang. Jhr Betragen war natuͤrlich,<lb/> ungezwungen, munter, und doch nichts weniger,<lb/> als frey. Sie unterhielt durch ihre Lebhaftigkeit<lb/> ihn und ihren Bruder, und wuſte ihre Aufmerk-<lb/> ſamkeit auf beyde aufs geſchickteſte zu theilen,<lb/> Beynahe hab ich mir Jhr Ausſehen ſo vorge-<lb/> ſtellt, Herr von <hi rendition="#fr">Kronhelm!</hi> ſagte ſie; aber doch<lb/> nicht voͤllig. Nun wuͤnſch ich nur, daß Sie bey<lb/> uns Geduld haben, und ſich die Zeit nicht lang<lb/> werden laſſen moͤgen! Am guten Willen ſolls<lb/> nicht fehlen, Sie zu unterhalten, aber ob wir<lb/> auch die Kraͤfte haben? Doch ich weis, Sie<lb/> nehmen auch mit dem guten Willen vorlieb, ha-<lb/> ben Sies doch bey meinen Brieſen gethan.<lb/> Dann frug ſie nach dem P. <hi rendition="#fr">Philipp.</hi> und nach<lb/> andern Dingen. Jhren Bruder betrachtete ſie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [339/0343]
zu ſprechen, in den Arm. Das gute Maͤdchen
weinte vor Freuden, und druͤckte ihrem Bruder
einen heiſſen Kuß voll ſchweſterlicher Liebe auf
den Mund. Ach, mein lieber Xaver, hab ich
dich denn wieder? O du Herzensbruder, dieſe
Freude hab ich mir ſo lange ſchon gewuͤnſcht! —
Nun kam der Wagen naͤher, Kronhelm ſprang
heraus. Sie empfieng ihn mit einer Freudig-
keit, und mit einem Laͤcheln, das ſeine ganze
Seele durchdrang. Jhr Betragen war natuͤrlich,
ungezwungen, munter, und doch nichts weniger,
als frey. Sie unterhielt durch ihre Lebhaftigkeit
ihn und ihren Bruder, und wuſte ihre Aufmerk-
ſamkeit auf beyde aufs geſchickteſte zu theilen,
Beynahe hab ich mir Jhr Ausſehen ſo vorge-
ſtellt, Herr von Kronhelm! ſagte ſie; aber doch
nicht voͤllig. Nun wuͤnſch ich nur, daß Sie bey
uns Geduld haben, und ſich die Zeit nicht lang
werden laſſen moͤgen! Am guten Willen ſolls
nicht fehlen, Sie zu unterhalten, aber ob wir
auch die Kraͤfte haben? Doch ich weis, Sie
nehmen auch mit dem guten Willen vorlieb, ha-
ben Sies doch bey meinen Brieſen gethan.
Dann frug ſie nach dem P. Philipp. und nach
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