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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Leute allein im Garten, schüttelten Birn und frü-
he Aepfel. Siegwart stieg auf die Bäume; und
Therese und Kronhelm sammelten das Obst auf.
Das Mädchen war sehr munter; machte viel
Spas; und Kronhelm, der sonst stiller und ernst-
hafter war, machte unvermerkt auch mit. Sie
sprachen beyde viel in dem vertraulichen und an-
genehmen Ton der Jronie, der den Deutschen so
gewöhnlich ist. Des Abends half er ihr die
Blumen begiessen, holte das Wasser aus dem
Schöpförunnen, und war der Gärtner, und sie
seine Gärtnerinn. Dann nahm man wieder ein
kleines, ländliches Maal ein, setzte sich in die Laube
oder vor das Haus, und brachte so den Abend bis
eilf Uhr, oder zwölf Uhr unter freundschaftlichen
Gesprächen hin. Den zweyten Morgen hörte
Kronhelm ihre Stimme früh im Haus, und
wachte dran auf, ob ihn gleich sonst kein Geräusch
so leicht weckte. Sie spielte in dem, an die
Kammer stossenden Zimmer das Klavier, und
sang dazu. Er rief ihr sogleich einen guten Mor-
gen; sie erschrack, und er trat ins Zimmer. Er
bat sie, noch ein paar Arien zu spielen und zu
singen; sie that es sogleich, ohne das viele vor-
hergehende, dem weiblichen Geschlecht sonst so ei-



Leute allein im Garten, ſchuͤttelten Birn und fruͤ-
he Aepfel. Siegwart ſtieg auf die Baͤume; und
Thereſe und Kronhelm ſammelten das Obſt auf.
Das Maͤdchen war ſehr munter; machte viel
Spas; und Kronhelm, der ſonſt ſtiller und ernſt-
hafter war, machte unvermerkt auch mit. Sie
ſprachen beyde viel in dem vertraulichen und an-
genehmen Ton der Jronie, der den Deutſchen ſo
gewoͤhnlich iſt. Des Abends half er ihr die
Blumen begieſſen, holte das Waſſer aus dem
Schoͤpfoͤrunnen, und war der Gaͤrtner, und ſie
ſeine Gaͤrtnerinn. Dann nahm man wieder ein
kleines, laͤndliches Maal ein, ſetzte ſich in die Laube
oder vor das Haus, und brachte ſo den Abend bis
eilf Uhr, oder zwoͤlf Uhr unter freundſchaftlichen
Geſpraͤchen hin. Den zweyten Morgen hoͤrte
Kronhelm ihre Stimme fruͤh im Haus, und
wachte dran auf, ob ihn gleich ſonſt kein Geraͤuſch
ſo leicht weckte. Sie ſpielte in dem, an die
Kammer ſtoſſenden Zimmer das Klavier, und
ſang dazu. Er rief ihr ſogleich einen guten Mor-
gen; ſie erſchrack, und er trat ins Zimmer. Er
bat ſie, noch ein paar Arien zu ſpielen und zu
ſingen; ſie that es ſogleich, ohne das viele vor-
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[341/0345] Leute allein im Garten, ſchuͤttelten Birn und fruͤ- he Aepfel. Siegwart ſtieg auf die Baͤume; und Thereſe und Kronhelm ſammelten das Obſt auf. Das Maͤdchen war ſehr munter; machte viel Spas; und Kronhelm, der ſonſt ſtiller und ernſt- hafter war, machte unvermerkt auch mit. Sie ſprachen beyde viel in dem vertraulichen und an- genehmen Ton der Jronie, der den Deutſchen ſo gewoͤhnlich iſt. Des Abends half er ihr die Blumen begieſſen, holte das Waſſer aus dem Schoͤpfoͤrunnen, und war der Gaͤrtner, und ſie ſeine Gaͤrtnerinn. Dann nahm man wieder ein kleines, laͤndliches Maal ein, ſetzte ſich in die Laube oder vor das Haus, und brachte ſo den Abend bis eilf Uhr, oder zwoͤlf Uhr unter freundſchaftlichen Geſpraͤchen hin. Den zweyten Morgen hoͤrte Kronhelm ihre Stimme fruͤh im Haus, und wachte dran auf, ob ihn gleich ſonſt kein Geraͤuſch ſo leicht weckte. Sie ſpielte in dem, an die Kammer ſtoſſenden Zimmer das Klavier, und ſang dazu. Er rief ihr ſogleich einen guten Mor- gen; ſie erſchrack, und er trat ins Zimmer. Er bat ſie, noch ein paar Arien zu ſpielen und zu ſingen; ſie that es ſogleich, ohne das viele vor- hergehende, dem weiblichen Geſchlecht ſonſt ſo ei-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/345>, abgerufen am 22.11.2024.