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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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schönes Thal, wo ein kleiner Bach sich durch-
schlängelte. Kronhelm erzälte viel von seiner
Mutter, von seinem Bruder, und von seinen
Schwestern; besonders von der ältern in Mün-
chen. Therese
nahm an allem vielen Antheil;
vornemlich gefiel ihr die Schilderung von Kron-
helms
älterer Schwester, und sie fühlte eine
ausserordentliche Zuneigung gegen sie. Therese
liebte die Vergißmeinnichtchen sehr. Unten am
Bach, dessen Ufer ziemlich hoch war, sah sie
welche stehen. Ey die herrliche Vergißmeinnichtchen!
sagte sie; wenn man die nur kriegen könnte!
Kronhelm stieg, ohne weiteres, hinab; aber das
lokre Ufer schurrte unter ihm weg; er wollte
sich im Fallen noch an einer Brombeerhecke hal-
ten; sie riß aus, und er fiel mit der rechten
Hand auf einen spitzen abgebrochnen Stab, daß
die Hand fast durch und durch gestochen wurde.
Therese erhub ein ängstliches Geschrey, und war
ausserordentlich besorgt. Kronhelm pflückte die
Vergißmeinnicht ab; stieg herauf; gab sie ihr
mit den Worten: Vergiß mein nicht! und mach-
te sich aus seiner Wunde gar nichts. Aber The-
rese
war recht ängstlich drob besorgt, und sagte:
sie sey Ursach an dem Unglück; sie müsse sich



ſchoͤnes Thal, wo ein kleiner Bach ſich durch-
ſchlaͤngelte. Kronhelm erzaͤlte viel von ſeiner
Mutter, von ſeinem Bruder, und von ſeinen
Schweſtern; beſonders von der aͤltern in Muͤn-
chen. Thereſe
nahm an allem vielen Antheil;
vornemlich gefiel ihr die Schilderung von Kron-
helms
aͤlterer Schweſter, und ſie fuͤhlte eine
auſſerordentliche Zuneigung gegen ſie. Thereſe
liebte die Vergißmeinnichtchen ſehr. Unten am
Bach, deſſen Ufer ziemlich hoch war, ſah ſie
welche ſtehen. Ey die herrliche Vergißmeinnichtchen!
ſagte ſie; wenn man die nur kriegen koͤnnte!
Kronhelm ſtieg, ohne weiteres, hinab; aber das
lokre Ufer ſchurrte unter ihm weg; er wollte
ſich im Fallen noch an einer Brombeerhecke hal-
ten; ſie riß aus, und er fiel mit der rechten
Hand auf einen ſpitzen abgebrochnen Stab, daß
die Hand faſt durch und durch geſtochen wurde.
Thereſe erhub ein aͤngſtliches Geſchrey, und war
auſſerordentlich beſorgt. Kronhelm pfluͤckte die
Vergißmeinnicht ab; ſtieg herauf; gab ſie ihr
mit den Worten: Vergiß mein nicht! und mach-
te ſich aus ſeiner Wunde gar nichts. Aber The-
reſe
war recht aͤngſtlich drob beſorgt, und ſagte:
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[343/0347] ſchoͤnes Thal, wo ein kleiner Bach ſich durch- ſchlaͤngelte. Kronhelm erzaͤlte viel von ſeiner Mutter, von ſeinem Bruder, und von ſeinen Schweſtern; beſonders von der aͤltern in Muͤn- chen. Thereſe nahm an allem vielen Antheil; vornemlich gefiel ihr die Schilderung von Kron- helms aͤlterer Schweſter, und ſie fuͤhlte eine auſſerordentliche Zuneigung gegen ſie. Thereſe liebte die Vergißmeinnichtchen ſehr. Unten am Bach, deſſen Ufer ziemlich hoch war, ſah ſie welche ſtehen. Ey die herrliche Vergißmeinnichtchen! ſagte ſie; wenn man die nur kriegen koͤnnte! Kronhelm ſtieg, ohne weiteres, hinab; aber das lokre Ufer ſchurrte unter ihm weg; er wollte ſich im Fallen noch an einer Brombeerhecke hal- ten; ſie riß aus, und er fiel mit der rechten Hand auf einen ſpitzen abgebrochnen Stab, daß die Hand faſt durch und durch geſtochen wurde. Thereſe erhub ein aͤngſtliches Geſchrey, und war auſſerordentlich beſorgt. Kronhelm pfluͤckte die Vergißmeinnicht ab; ſtieg herauf; gab ſie ihr mit den Worten: Vergiß mein nicht! und mach- te ſich aus ſeiner Wunde gar nichts. Aber The- reſe war recht aͤngſtlich drob beſorgt, und ſagte: ſie ſey Urſach an dem Ungluͤck; ſie muͤſſe ſich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/347>, abgerufen am 22.11.2024.