Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.
Himmel nicht begiessen will, sagte Therese, so müs- sen Sie mir eben helfen. Und nun schöpften Kronhelm und Siegwart aus dem Brunnen, und begossen den Salat. Kronhelm hatte sich an The- resen so gewöhnt, und fand an ihrem Umgang so viel Wohlgefallen, daß er immer um sie war. Es war ihm nirgends wohl, wo er sie nicht sah. Er lief überall herum, und suchte sie im ganzen Haus auf. Sie war eben so gern um ihn. Wenn sie bey Tisch aus der Stube gieng, so sah er ihr nach und wandte kein Auge von der Stu- benthür ab. Wenn sie sich öfnete, und Therese hereintrat, so wars ihm, als ob das Paradies sich öfnete, und ein Engel Gottes hereinträte. Jhre Blicke waren immer zuerst auf ihn gerichtet, und da ward ihm so wohl und so wunderlich zu Muthe, daß ers Essen drüber vergaß, und die Gabel mit der Speise wieder auf den Teller sinken ließ. Dann glaubte er, daß ihms jemand ange- sehen habe, und ward roth drüber; Therese, die es merkte, wards mit ihm. Beyde glaubten nun, so ganz dunkel, daß sie einander nicht gleichgültig seyen; aber sie zweifelten doch noch oft daran, denn beyden war die Liebe noch ganz neu. Himmel nicht begieſſen will, ſagte Thereſe, ſo muͤſ- ſen Sie mir eben helfen. Und nun ſchoͤpften Kronhelm und Siegwart aus dem Brunnen, und begoſſen den Salat. Kronhelm hatte ſich an The- reſen ſo gewoͤhnt, und fand an ihrem Umgang ſo viel Wohlgefallen, daß er immer um ſie war. Es war ihm nirgends wohl, wo er ſie nicht ſah. Er lief uͤberall herum, und ſuchte ſie im ganzen Haus auf. Sie war eben ſo gern um ihn. Wenn ſie bey Tiſch aus der Stube gieng, ſo ſah er ihr nach und wandte kein Auge von der Stu- benthuͤr ab. Wenn ſie ſich oͤfnete, und Thereſe hereintrat, ſo wars ihm, als ob das Paradies ſich oͤfnete, und ein Engel Gottes hereintraͤte. Jhre Blicke waren immer zuerſt auf ihn gerichtet, und da ward ihm ſo wohl und ſo wunderlich zu Muthe, daß ers Eſſen druͤber vergaß, und die Gabel mit der Speiſe wieder auf den Teller ſinken ließ. Dann glaubte er, daß ihms jemand ange- ſehen habe, und ward roth druͤber; Thereſe, die es merkte, wards mit ihm. Beyde glaubten nun, ſo ganz dunkel, daß ſie einander nicht gleichguͤltig ſeyen; aber ſie zweifelten doch noch oft daran, denn beyden war die Liebe noch ganz neu. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0353" n="349"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Himmel nicht begieſſen will, ſagte <hi rendition="#fr">Thereſe,</hi> ſo muͤſ-<lb/> ſen Sie mir eben helfen. Und nun ſchoͤpften<lb/><hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> und <hi rendition="#fr">Siegwart</hi> aus dem Brunnen, und<lb/> begoſſen den Salat. <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> hatte ſich an <hi rendition="#fr">The-<lb/> reſen</hi> ſo gewoͤhnt, und fand an ihrem Umgang<lb/> ſo viel Wohlgefallen, daß er immer um ſie war.<lb/> Es war ihm nirgends wohl, wo er ſie nicht ſah.<lb/> Er lief uͤberall herum, und ſuchte ſie im ganzen<lb/> Haus auf. Sie war eben ſo gern um ihn.<lb/> Wenn ſie bey Tiſch aus der Stube gieng, ſo ſah<lb/> er ihr nach und wandte kein Auge von der Stu-<lb/> benthuͤr ab. Wenn ſie ſich oͤfnete, und <hi rendition="#fr">Thereſe</hi><lb/> hereintrat, ſo wars ihm, als ob das Paradies ſich<lb/> oͤfnete, und ein Engel Gottes hereintraͤte. Jhre<lb/> Blicke waren immer zuerſt auf ihn gerichtet, und<lb/> da ward ihm ſo wohl und ſo wunderlich zu<lb/> Muthe, daß ers Eſſen druͤber vergaß, und die<lb/> Gabel mit der Speiſe wieder auf den Teller ſinken<lb/> ließ. Dann glaubte er, daß ihms jemand ange-<lb/> ſehen habe, und ward roth druͤber; <hi rendition="#fr">Thereſe,</hi> die<lb/> es merkte, wards mit ihm. Beyde glaubten nun,<lb/> ſo ganz dunkel, daß ſie einander nicht gleichguͤltig<lb/> ſeyen; aber ſie zweifelten doch noch oft daran,<lb/> denn beyden war die Liebe noch ganz neu.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [349/0353]
Himmel nicht begieſſen will, ſagte Thereſe, ſo muͤſ-
ſen Sie mir eben helfen. Und nun ſchoͤpften
Kronhelm und Siegwart aus dem Brunnen, und
begoſſen den Salat. Kronhelm hatte ſich an The-
reſen ſo gewoͤhnt, und fand an ihrem Umgang
ſo viel Wohlgefallen, daß er immer um ſie war.
Es war ihm nirgends wohl, wo er ſie nicht ſah.
Er lief uͤberall herum, und ſuchte ſie im ganzen
Haus auf. Sie war eben ſo gern um ihn.
Wenn ſie bey Tiſch aus der Stube gieng, ſo ſah
er ihr nach und wandte kein Auge von der Stu-
benthuͤr ab. Wenn ſie ſich oͤfnete, und Thereſe
hereintrat, ſo wars ihm, als ob das Paradies ſich
oͤfnete, und ein Engel Gottes hereintraͤte. Jhre
Blicke waren immer zuerſt auf ihn gerichtet, und
da ward ihm ſo wohl und ſo wunderlich zu
Muthe, daß ers Eſſen druͤber vergaß, und die
Gabel mit der Speiſe wieder auf den Teller ſinken
ließ. Dann glaubte er, daß ihms jemand ange-
ſehen habe, und ward roth druͤber; Thereſe, die
es merkte, wards mit ihm. Beyde glaubten nun,
ſo ganz dunkel, daß ſie einander nicht gleichguͤltig
ſeyen; aber ſie zweifelten doch noch oft daran,
denn beyden war die Liebe noch ganz neu.
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| Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/353>, abgerufen am 22.11.2024. |
