Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Liebe stark; aber auch den Eigensinn und die Vorurtheile seines Vaters. Er sah den Lerm voraus, den dieser anfangen würde; und endlich, als er sich von allen Seiten her mit Hindernis- sen umringt sah, und sich selbst nicht mehr her- aus zu helfen wuste, fieng er an, sein Schicksal und den Adel zu verwünschen. -- Er dachte sich sein liebes Mädchen; ihr sanftes holdseliges Ge- sicht; ihr liebevolles Herz voll hoher, edler Tu- genden; ihren ganzen Umkreis von Vollkommen- heiten; bebte vor dem Gedanken zurück, dieß al- les zu verlieren; weinte; rang die Hände; und erhub sein Herz von neuem durch den stärkenden Gedanken: Sie soll doch, trotz allem! dein seyn! -- Endlich ward er wie fühllos; dachte nichts; und sah die ganze Zukunft wie ein ödes dunkles Todtenfeld gleichgültig vor sich da liegen; bis ihn ein Schlummer überfiel, aus dem er alle Augen- blicke unruhig auffuhr. Mit der Morgenröthe wachte er schon wie- C c
Liebe ſtark; aber auch den Eigenſinn und die Vorurtheile ſeines Vaters. Er ſah den Lerm voraus, den dieſer anfangen wuͤrde; und endlich, als er ſich von allen Seiten her mit Hinderniſ- ſen umringt ſah, und ſich ſelbſt nicht mehr her- aus zu helfen wuſte, fieng er an, ſein Schickſal und den Adel zu verwuͤnſchen. — Er dachte ſich ſein liebes Maͤdchen; ihr ſanftes holdſeliges Ge- ſicht; ihr liebevolles Herz voll hoher, edler Tu- genden; ihren ganzen Umkreis von Vollkommen- heiten; bebte vor dem Gedanken zuruͤck, dieß al- les zu verlieren; weinte; rang die Haͤnde; und erhub ſein Herz von neuem durch den ſtaͤrkenden Gedanken: Sie ſoll doch, trotz allem! dein ſeyn! — Endlich ward er wie fuͤhllos; dachte nichts; und ſah die ganze Zukunft wie ein oͤdes dunkles Todtenfeld gleichguͤltig vor ſich da liegen; bis ihn ein Schlummer uͤberfiel, aus dem er alle Augen- blicke unruhig auffuhr. Mit der Morgenroͤthe wachte er ſchon wie- C c
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Liebe ſtark; aber auch den Eigenſinn und die
Vorurtheile ſeines Vaters. Er ſah den Lerm
voraus, den dieſer anfangen wuͤrde; und endlich,
als er ſich von allen Seiten her mit Hinderniſ-
ſen umringt ſah, und ſich ſelbſt nicht mehr her-
aus zu helfen wuſte, fieng er an, ſein Schickſal
und den Adel zu verwuͤnſchen. — Er dachte ſich
ſein liebes Maͤdchen; ihr ſanftes holdſeliges Ge-
ſicht; ihr liebevolles Herz voll hoher, edler Tu-
genden; ihren ganzen Umkreis von Vollkommen-
heiten; bebte vor dem Gedanken zuruͤck, dieß al-
les zu verlieren; weinte; rang die Haͤnde; und
erhub ſein Herz von neuem durch den ſtaͤrkenden
Gedanken: Sie ſoll doch, trotz allem! dein ſeyn!
— Endlich ward er wie fuͤhllos; dachte nichts;
und ſah die ganze Zukunft wie ein oͤdes dunkles
Todtenfeld gleichguͤltig vor ſich da liegen; bis ihn
ein Schlummer uͤberfiel, aus dem er alle Augen-
blicke unruhig auffuhr.
Mit der Morgenroͤthe wachte er ſchon wie-
der auf, und fieng von neuem an zu phantaſie-
ren. Es kam ihm nun alles noch weit ſchwerer
und verwickelter vor; und doch beherrſchte ſeine
Seele nur der einzige Gedanke: ſie ſoll mein ſeyn!
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