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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Auf einem derselben kniete ein alter silberhaarich-
ter Kapuziner, der eben hingerichtet werden sollte,
mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vor-
dergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey, ge-
führt, aus dessen, festvergitterten Oefnungen ab-
gehärmte Gesichter heraussahen, die sich eben ei-
nen solchen Tod mit Sehnsucht zu wünschen schie-
nen; besonders rührte unsern Siegwart das Ge-
sicht eines Jünglings, der ihn mit Thränen an-
zusehen schien.

Das waren alle unsre Brüder, sagte Anton,
die als Missionarien nach tausendfachen Leiden der
Märtyrerkrone sind theilhaftig geworden. Wir
werden sie einst alle wieder bey Gott antreffen,
wenn wir, wie sie, willig Armuth, und, wenns
seyn soll, auch Verfolgung tragen.

Mit diesen Worten sah er den jungen Sieg-
wart
an, der den ganzen Ausdruck dieses Blickes
fühlte.

Nun kamen sie im Hof an ein kleines stei-
nernes Häuschen, das ans Kloster angebaut war.
Gregor machte das Thürchen auf, und ein Hau-
fen Krücken und Stäbe lag da über einander ge-
thürmt.



Auf einem derſelben kniete ein alter ſilberhaarich-
ter Kapuziner, der eben hingerichtet werden ſollte,
mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vor-
dergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey, ge-
fuͤhrt, aus deſſen, feſtvergitterten Oefnungen ab-
gehaͤrmte Geſichter herausſahen, die ſich eben ei-
nen ſolchen Tod mit Sehnſucht zu wuͤnſchen ſchie-
nen; beſonders ruͤhrte unſern Siegwart das Ge-
ſicht eines Juͤnglings, der ihn mit Thraͤnen an-
zuſehen ſchien.

Das waren alle unſre Bruͤder, ſagte Anton,
die als Miſſionarien nach tauſendfachen Leiden der
Maͤrtyrerkrone ſind theilhaftig geworden. Wir
werden ſie einſt alle wieder bey Gott antreffen,
wenn wir, wie ſie, willig Armuth, und, wenns
ſeyn ſoll, auch Verfolgung tragen.

Mit dieſen Worten ſah er den jungen Sieg-
wart
an, der den ganzen Ausdruck dieſes Blickes
fuͤhlte.

Nun kamen ſie im Hof an ein kleines ſtei-
nernes Haͤuschen, das ans Kloſter angebaut war.
Gregor machte das Thuͤrchen auf, und ein Hau-
fen Kruͤcken und Staͤbe lag da uͤber einander ge-
thuͤrmt.

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[38/0042] Auf einem derſelben kniete ein alter ſilberhaarich- ter Kapuziner, der eben hingerichtet werden ſollte, mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vor- dergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey, ge- fuͤhrt, aus deſſen, feſtvergitterten Oefnungen ab- gehaͤrmte Geſichter herausſahen, die ſich eben ei- nen ſolchen Tod mit Sehnſucht zu wuͤnſchen ſchie- nen; beſonders ruͤhrte unſern Siegwart das Ge- ſicht eines Juͤnglings, der ihn mit Thraͤnen an- zuſehen ſchien. Das waren alle unſre Bruͤder, ſagte Anton, die als Miſſionarien nach tauſendfachen Leiden der Maͤrtyrerkrone ſind theilhaftig geworden. Wir werden ſie einſt alle wieder bey Gott antreffen, wenn wir, wie ſie, willig Armuth, und, wenns ſeyn ſoll, auch Verfolgung tragen. Mit dieſen Worten ſah er den jungen Sieg- wart an, der den ganzen Ausdruck dieſes Blickes fuͤhlte. Nun kamen ſie im Hof an ein kleines ſtei- nernes Haͤuschen, das ans Kloſter angebaut war. Gregor machte das Thuͤrchen auf, und ein Hau- fen Kruͤcken und Staͤbe lag da uͤber einander ge- thuͤrmt.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/42>, abgerufen am 21.11.2024.