Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.nach dem Berg, wo sie gestern gewesen waren. Als sie über einen Steg giengen, blieben sie drauf stehen. Therese warf ein Nelkenblatt in den Bach hinab; Kronhelm auch eins. Die Blät- ter schwammen einander nach; die Liebenden verfolgten sie mit ihren Blicken, und freuten sich, daß die Blätter miteinander schwammen. Sie trieben dieses Spiel wol eine halbe Stunde, und giengen endlich nach dem Berge. Als sie oben waren, sagte Kronhelm: Nun sind wir doch wie- der da; gestern hätten wir geschworen, daß es nicht geschehen würde. So kann alles auf der Welt in einem Augenblick möglich werden! -- Sie machten aus, daß sie auf die Nacht nicht zu Bette gehen wollten, weil sie ohnedieß früh wie- der aufstehen müßten. Jch kann doch nicht schla- fen, sagte Therese; wir müssen die kurze Zeit die wir übrig haben, noch ganz geniessen. -- Sehen Sie! dort hinten zieht sich ein Gewitter auf. -- Kronhelm wollte es nicht glauben, und sagte, daß es nur Abendwolken seyen; Sie aber blieb auf ihrer Behauptung -- Wenns morgen gut Wetter ist, fuhr sie fort, so fahr ich eine Stun- de weit mit Jhnen -- O, das thun Sie ja! sagte Kronhelm. Zwar, Sie müssen dann allein, und zu Fuß, zurück -- Ey was, Possen! siel sie ihm ein. Glauben Sie denn, wir seyen so em- pfindlich, und so surchtsam, wie Jhre Stadtmäd- chen, daß wir keine Stunde weit allein gehen könnten? Auf dem Land fragt man viel dar- nach! da gibts nicht so viel schlimme Leute, wie in der Stadt, daß man sich zu sürchten hätte! -- Ja, das weiß ich wol, sagte Kronhelm, und Jch werde gewiß nicht die Stadt gegen Sie vertheidigen! Nun, Sie fahren also mit! nach dem Berg, wo ſie geſtern geweſen waren. Als ſie uͤber einen Steg giengen, blieben ſie drauf ſtehen. Thereſe warf ein Nelkenblatt in den Bach hinab; Kronhelm auch eins. Die Blaͤt- ter ſchwammen einander nach; die Liebenden verfolgten ſie mit ihren Blicken, und freuten ſich, daß die Blaͤtter miteinander ſchwammen. Sie trieben dieſes Spiel wol eine halbe Stunde, und giengen endlich nach dem Berge. Als ſie oben waren, ſagte Kronhelm: Nun ſind wir doch wie- der da; geſtern haͤtten wir geſchworen, daß es nicht geſchehen wuͤrde. So kann alles auf der Welt in einem Augenblick moͤglich werden! — Sie machten aus, daß ſie auf die Nacht nicht zu Bette gehen wollten, weil ſie ohnedieß fruͤh wie- der aufſtehen muͤßten. Jch kann doch nicht ſchla- fen, ſagte Thereſe; wir muͤſſen die kurze Zeit die wir uͤbrig haben, noch ganz genieſſen. — Sehen Sie! dort hinten zieht ſich ein Gewitter auf. — Kronhelm wollte es nicht glauben, und ſagte, daß es nur Abendwolken ſeyen; Sie aber blieb auf ihrer Behauptung — Wenns morgen gut Wetter iſt, fuhr ſie fort, ſo fahr ich eine Stun- de weit mit Jhnen — O, das thun Sie ja! ſagte Kronhelm. Zwar, Sie muͤſſen dann allein, und zu Fuß, zuruͤck — Ey was, Poſſen! ſiel ſie ihm ein. Glauben Sie denn, wir ſeyen ſo em- pfindlich, und ſo ſurchtſam, wie Jhre Stadtmaͤd- chen, daß wir keine Stunde weit allein gehen koͤnnten? Auf dem Land fragt man viel dar- nach! da gibts nicht ſo viel ſchlimme Leute, wie in der Stadt, daß man ſich zu ſuͤrchten haͤtte! — Ja, das weiß ich wol, ſagte Kronhelm, und Jch werde gewiß nicht die Stadt gegen Sie vertheidigen! Nun, Sie fahren alſo mit! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0423" n="419"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> nach dem Berg, wo ſie geſtern geweſen waren.<lb/> Als ſie uͤber einen Steg giengen, blieben ſie drauf<lb/> ſtehen. <hi rendition="#fr">Thereſe</hi> warf ein Nelkenblatt in den<lb/> Bach hinab; <hi rendition="#fr">Kronhelm</hi> auch eins. Die Blaͤt-<lb/> ter ſchwammen einander nach; die Liebenden<lb/> verfolgten ſie mit ihren Blicken, und freuten ſich,<lb/> daß die Blaͤtter miteinander ſchwammen. Sie<lb/> trieben dieſes Spiel wol eine halbe Stunde, und<lb/> giengen endlich nach dem Berge. Als ſie oben<lb/> waren, ſagte <hi rendition="#fr">Kronhelm:</hi> Nun ſind wir doch wie-<lb/> der da; geſtern haͤtten wir geſchworen, daß es<lb/> nicht geſchehen wuͤrde. 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nach dem Berg, wo ſie geſtern geweſen waren.
Als ſie uͤber einen Steg giengen, blieben ſie drauf
ſtehen. Thereſe warf ein Nelkenblatt in den
Bach hinab; Kronhelm auch eins. Die Blaͤt-
ter ſchwammen einander nach; die Liebenden
verfolgten ſie mit ihren Blicken, und freuten ſich,
daß die Blaͤtter miteinander ſchwammen. Sie
trieben dieſes Spiel wol eine halbe Stunde, und
giengen endlich nach dem Berge. Als ſie oben
waren, ſagte Kronhelm: Nun ſind wir doch wie-
der da; geſtern haͤtten wir geſchworen, daß es
nicht geſchehen wuͤrde. So kann alles auf der
Welt in einem Augenblick moͤglich werden! —
Sie machten aus, daß ſie auf die Nacht nicht zu
Bette gehen wollten, weil ſie ohnedieß fruͤh wie-
der aufſtehen muͤßten. Jch kann doch nicht ſchla-
fen, ſagte Thereſe; wir muͤſſen die kurze Zeit die
wir uͤbrig haben, noch ganz genieſſen. — Sehen
Sie! dort hinten zieht ſich ein Gewitter auf. —
Kronhelm wollte es nicht glauben, und ſagte,
daß es nur Abendwolken ſeyen; Sie aber blieb
auf ihrer Behauptung — Wenns morgen gut
Wetter iſt, fuhr ſie fort, ſo fahr ich eine Stun-
de weit mit Jhnen — O, das thun Sie ja!
ſagte Kronhelm. Zwar, Sie muͤſſen dann allein,
und zu Fuß, zuruͤck — Ey was, Poſſen! ſiel ſie
ihm ein. Glauben Sie denn, wir ſeyen ſo em-
pfindlich, und ſo ſurchtſam, wie Jhre Stadtmaͤd-
chen, daß wir keine Stunde weit allein gehen
koͤnnten? Auf dem Land fragt man viel dar-
nach! da gibts nicht ſo viel ſchlimme Leute, wie
in der Stadt, daß man ſich zu ſuͤrchten haͤtte!
— Ja, das weiß ich wol, ſagte Kronhelm,
und Jch werde gewiß nicht die Stadt gegen
Sie vertheidigen! Nun, Sie fahren alſo mit!
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