Betäubung da, als der Schall von allen Glecken den Anbruch des Fests verkündete.
Er gieng in den Versammlungssaal, wo die Väter traurig bey einander standen, und sich vom Verstorbnen unterhielten. Alle lobten ihn ein- müthig, und schickten ihm ihren Segen nach. Sein Begräbnis ward auf übermorgen angesetzt, und nun giengen die Paters Paar und Paar in die Kirche, die mit Blumen bestreut, und mit Meyen ausgeschmückt war. Mehr, als hundert Wachslichter wurden angesteckt. Dicke Weih- rauchswolken stiegen auf, und umgaben die Paters und den jungen Siegwart. Es ward ein seyerli- cher voller Choral angestimmt, der wie ein Meer daherbrauste. Der langsame, andachtsvolle Ge- sang und der begeisternde Weihrauchsduft trugen unsers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hat- te tausend, sich durchkreuzende Empfindungen, ohne Eine davon deutlich zu fühlen. Es war ihm, als ob er zwischen Himmel und Erde schwebte, und zuweilen einen Blick durch die Wolken an den Thron des Höchsten thäte. Das Gesicht der Geist- lichen schien ihm zu glänzen, und verklärt zu seyn. Er warf einen Blick auf das Gemälde, wo die Kapuziner hingerichtet wurden. Sie schienen ihm
Betaͤubung da, als der Schall von allen Glecken den Anbruch des Feſts verkuͤndete.
Er gieng in den Verſammlungsſaal, wo die Vaͤter traurig bey einander ſtanden, und ſich vom Verſtorbnen unterhielten. Alle lobten ihn ein- muͤthig, und ſchickten ihm ihren Segen nach. Sein Begraͤbnis ward auf uͤbermorgen angeſetzt, und nun giengen die Paters Paar und Paar in die Kirche, die mit Blumen beſtreut, und mit Meyen ausgeſchmuͤckt war. Mehr, als hundert Wachslichter wurden angeſteckt. Dicke Weih- rauchswolken ſtiegen auf, und umgaben die Paters und den jungen Siegwart. Es ward ein ſeyerli- cher voller Choral angeſtimmt, der wie ein Meer daherbrauſte. Der langſame, andachtsvolle Ge- ſang und der begeiſternde Weihrauchsduft trugen unſers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hat- te tauſend, ſich durchkreuzende Empfindungen, ohne Eine davon deutlich zu fuͤhlen. Es war ihm, als ob er zwiſchen Himmel und Erde ſchwebte, und zuweilen einen Blick durch die Wolken an den Thron des Hoͤchſten thaͤte. Das Geſicht der Geiſt- lichen ſchien ihm zu glaͤnzen, und verklaͤrt zu ſeyn. Er warf einen Blick auf das Gemaͤlde, wo die Kapuziner hingerichtet wurden. Sie ſchienen ihm
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Betaͤubung da, als der Schall von allen Glecken
den Anbruch des Feſts verkuͤndete.
Er gieng in den Verſammlungsſaal, wo die
Vaͤter traurig bey einander ſtanden, und ſich vom
Verſtorbnen unterhielten. Alle lobten ihn ein-
muͤthig, und ſchickten ihm ihren Segen nach.
Sein Begraͤbnis ward auf uͤbermorgen angeſetzt,
und nun giengen die Paters Paar und Paar in
die Kirche, die mit Blumen beſtreut, und mit
Meyen ausgeſchmuͤckt war. Mehr, als hundert
Wachslichter wurden angeſteckt. Dicke Weih-
rauchswolken ſtiegen auf, und umgaben die Paters
und den jungen Siegwart. Es ward ein ſeyerli-
cher voller Choral angeſtimmt, der wie ein Meer
daherbrauſte. Der langſame, andachtsvolle Ge-
ſang und der begeiſternde Weihrauchsduft trugen
unſers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hat-
te tauſend, ſich durchkreuzende Empfindungen, ohne
Eine davon deutlich zu fuͤhlen. Es war ihm, als
ob er zwiſchen Himmel und Erde ſchwebte, und
zuweilen einen Blick durch die Wolken an den
Thron des Hoͤchſten thaͤte. Das Geſicht der Geiſt-
lichen ſchien ihm zu glaͤnzen, und verklaͤrt zu ſeyn.
Er warf einen Blick auf das Gemaͤlde, wo die
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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