Allen edeln Seelen widm' ich dieses Buch, die beym Lesen etwas mehr, als blos Befriedigung der Neugierde, und Beschäfti- gung der Einbildungskraft suchen. Fast jeder Schriftsteller, und der Dichter besonders -- dessen Beruf ich für einen der erhabensten hal- te -- sollte hauptsächlich auf das Herz sei- ner Leser Rücksicht nehmen. Dadurch bahnt er sich am leichtesten den Weg zum Unterricht und zur Belehrung. Wer Empfindungen erhöht und bessert, der erreicht gewiß einen eben so erhabnen Zweck, als der, welcher blos für den Verstand sorgt. Der letztere Schrift- steller kann auch nicht so ausgebreitet wir- ken. Er hat immer nur eine kleinere An- zahl von Lesern, weil er Menschen voraussetzt, die schon in den Wissenschaften geübt sind.
Jeder Roman -- ein Wort, das, leider! vielleicht durch schlechte Muster verächtlich wor- den ist -- sollte, meinem Jdeal nach, zugleich
Vorbericht.
Allen edeln Seelen widm’ ich dieſes Buch, die beym Leſen etwas mehr, als blos Befriedigung der Neugierde, und Beſchaͤfti- gung der Einbildungskraft ſuchen. Faſt jeder Schriftſteller, und der Dichter beſonders — deſſen Beruf ich fuͤr einen der erhabenſten hal- te — ſollte hauptſaͤchlich auf das Herz ſei- ner Leſer Ruͤckſicht nehmen. Dadurch bahnt er ſich am leichteſten den Weg zum Unterricht und zur Belehrung. Wer Empfindungen erhoͤht und beſſert, der erreicht gewiß einen eben ſo erhabnen Zweck, als der, welcher blos fuͤr den Verſtand ſorgt. Der letztere Schrift- ſteller kann auch nicht ſo ausgebreitet wir- ken. Er hat immer nur eine kleinere An- zahl von Leſern, weil er Menſchen vorausſetzt, die ſchon in den Wiſſenſchaften geuͤbt ſind.
Jeder Roman — ein Wort, das, leider! vielleicht durch ſchlechte Muſter veraͤchtlich wor- den iſt — ſollte, meinem Jdeal nach, zugleich
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Vorbericht.
Allen edeln Seelen widm’ ich dieſes Buch,
die beym Leſen etwas mehr, als blos
Befriedigung der Neugierde, und Beſchaͤfti-
gung der Einbildungskraft ſuchen. Faſt jeder
Schriftſteller, und der Dichter beſonders —
deſſen Beruf ich fuͤr einen der erhabenſten hal-
te — ſollte hauptſaͤchlich auf das Herz ſei-
ner Leſer Ruͤckſicht nehmen. Dadurch bahnt
er ſich am leichteſten den Weg zum Unterricht
und zur Belehrung. Wer Empfindungen
erhoͤht und beſſert, der erreicht gewiß einen
eben ſo erhabnen Zweck, als der, welcher blos
fuͤr den Verſtand ſorgt. Der letztere Schrift-
ſteller kann auch nicht ſo ausgebreitet wir-
ken. Er hat immer nur eine kleinere An-
zahl von Leſern, weil er Menſchen vorausſetzt,
die ſchon in den Wiſſenſchaften geuͤbt ſind.
Jeder Roman — ein Wort, das, leider!
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/7>, abgerufen am 21.11.2024.
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