Geschichte, und vom Kloster; zuweilen seufzte er, aber nur verstohlen, und furchtsam, über die Stren- ge seines Ordens. Die liebenswürdige Einfalt, und die fast kindische Unerfahrenheit im Lauf der Welt, besonders in der Bosheit der Menschen, die der Pater alle Augenblick äusserte, nahm un- sern Siegwart, der seine idealische Vorstellungen hier so lebendig vor sich sah, sehr für ihn ein. Mit Gutfried, an dem er sehr viel edles fand: ward er auch bald Freund.
Den andern Tag, als sie noch drittehalb Stun- den weit von Jngolstadt entfernt waren, kam Kronhelm hergeritten. Seine, und Siegwarts Freude war unbeschreiblich. Jeder fühle sie mit mir, der seinen Freund, den er so zärtlich liebt, wie Siegwart seinen Kronhelm, nach einer Jahr- langen Trennung wieder umarmt, und nun wie- der ganz sein ist! Boling erbot sich, zu reiten, und Kronhelm setzte sich in den Wagen. Anfangs sprachen sie wenig, und hielten sich nur bey der Hand fest. Sie fragten sich tausend Dinge, be- antworteten die Fragen nur halb, und fiengen so- gleich wieder eine neue an. Als sie einander steif, und mit dem seelenvollsten Ausdruck ansahen,
N n
Geſchichte, und vom Kloſter; zuweilen ſeufzte er, aber nur verſtohlen, und furchtſam, uͤber die Stren- ge ſeines Ordens. Die liebenswuͤrdige Einfalt, und die faſt kindiſche Unerfahrenheit im Lauf der Welt, beſonders in der Bosheit der Menſchen, die der Pater alle Augenblick aͤuſſerte, nahm un- ſern Siegwart, der ſeine idealiſche Vorſtellungen hier ſo lebendig vor ſich ſah, ſehr fuͤr ihn ein. Mit Gutfried, an dem er ſehr viel edles fand: ward er auch bald Freund.
Den andern Tag, als ſie noch drittehalb Stun- den weit von Jngolſtadt entfernt waren, kam Kronhelm hergeritten. Seine, und Siegwarts Freude war unbeſchreiblich. Jeder fuͤhle ſie mit mir, der ſeinen Freund, den er ſo zaͤrtlich liebt, wie Siegwart ſeinen Kronhelm, nach einer Jahr- langen Trennung wieder umarmt, und nun wie- der ganz ſein iſt! Boling erbot ſich, zu reiten, und Kronhelm ſetzte ſich in den Wagen. Anfangs ſprachen ſie wenig, und hielten ſich nur bey der Hand feſt. Sie fragten ſich tauſend Dinge, be- antworteten die Fragen nur halb, und fiengen ſo- gleich wieder eine neue an. Als ſie einander ſteif, und mit dem ſeelenvollſten Ausdruck anſahen,
N n
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0133"n="553"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Geſchichte, und vom Kloſter; zuweilen ſeufzte er,<lb/>
aber nur verſtohlen, und furchtſam, uͤber die Stren-<lb/>
ge ſeines Ordens. Die liebenswuͤrdige Einfalt, und<lb/>
die faſt kindiſche Unerfahrenheit im Lauf der Welt,<lb/>
beſonders in der Bosheit der Menſchen, die<lb/>
der Pater alle Augenblick aͤuſſerte, nahm un-<lb/>ſern Siegwart, der ſeine idealiſche Vorſtellungen<lb/>
hier ſo lebendig vor ſich ſah, ſehr fuͤr ihn ein.<lb/>
Mit Gutfried, an dem er ſehr viel edles fand:<lb/>
ward er auch bald Freund.</p><lb/><p>Den andern Tag, als ſie noch drittehalb Stun-<lb/>
den weit von Jngolſtadt entfernt waren, kam<lb/>
Kronhelm hergeritten. Seine, und Siegwarts<lb/>
Freude war unbeſchreiblich. Jeder fuͤhle ſie mit<lb/>
mir, der ſeinen Freund, den er ſo zaͤrtlich liebt,<lb/>
wie Siegwart ſeinen Kronhelm, nach einer Jahr-<lb/>
langen Trennung wieder umarmt, und nun wie-<lb/>
der ganz ſein iſt! Boling erbot ſich, zu reiten,<lb/>
und Kronhelm ſetzte ſich in den Wagen. Anfangs<lb/>ſprachen ſie wenig, und hielten ſich nur bey der<lb/>
Hand feſt. Sie fragten ſich tauſend Dinge, be-<lb/>
antworteten die Fragen nur halb, und fiengen ſo-<lb/>
gleich wieder eine neue an. Als ſie einander ſteif,<lb/>
und mit dem ſeelenvollſten Ausdruck anſahen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N n</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[553/0133]
Geſchichte, und vom Kloſter; zuweilen ſeufzte er,
aber nur verſtohlen, und furchtſam, uͤber die Stren-
ge ſeines Ordens. Die liebenswuͤrdige Einfalt, und
die faſt kindiſche Unerfahrenheit im Lauf der Welt,
beſonders in der Bosheit der Menſchen, die
der Pater alle Augenblick aͤuſſerte, nahm un-
ſern Siegwart, der ſeine idealiſche Vorſtellungen
hier ſo lebendig vor ſich ſah, ſehr fuͤr ihn ein.
Mit Gutfried, an dem er ſehr viel edles fand:
ward er auch bald Freund.
Den andern Tag, als ſie noch drittehalb Stun-
den weit von Jngolſtadt entfernt waren, kam
Kronhelm hergeritten. Seine, und Siegwarts
Freude war unbeſchreiblich. Jeder fuͤhle ſie mit
mir, der ſeinen Freund, den er ſo zaͤrtlich liebt,
wie Siegwart ſeinen Kronhelm, nach einer Jahr-
langen Trennung wieder umarmt, und nun wie-
der ganz ſein iſt! Boling erbot ſich, zu reiten,
und Kronhelm ſetzte ſich in den Wagen. Anfangs
ſprachen ſie wenig, und hielten ſich nur bey der
Hand feſt. Sie fragten ſich tauſend Dinge, be-
antworteten die Fragen nur halb, und fiengen ſo-
gleich wieder eine neue an. Als ſie einander ſteif,
und mit dem ſeelenvollſten Ausdruck anſahen,
N n
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/133>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.