noch mehr. Theresens traurige Briefe, und sei- nes Kronhelms düstre Denkungsart lehrten ihn die Welt, die den besten Seelen so wenig Freude ge- währt, und sie in so tiefen Kummer stürzt, immer mehr gering schätzen. Dabey war ihm bey seiner halbfanatischen Denkungsart so wohl, daß er sich in keine andre Lage wünschte.
Die Kirchen, und besonders die Frauenkloster- kirche besuchte er alle Sonn- und Feyertage, und nährte da seine Phantasie noch mehr durch das heilige Gepränge, und die feyerliche Musik. Ein- mal sah er ein Mädchen neben sich knien, über dessen Anblick er erschrack. Es hatte die Augen andachtsvoll gen Himmel gerichtet, und warf, als er es anblickte, einen Blick auf ihn, der sein Jnnerstes umkehrte. Er war auf einmal aus aller Fassung, und konnte, ohngeachtet aller Bemühung, seine Andacht nicht mehr sammeln. Es überfiel ihn ein solches Zittern und Beben, daß er sich kaum mehr auf den Knien halten konnte. Noch Einmal blickte er hinüber; sie ließ eben ein Kügelchen an ihrem Nosenkranz fallen, sah ihn wieder an, und sein Blick fuhr wie der Blitz zurück. Nach etli- chen Minuten stand sie auf; er hörte ihr Gewand rauschen, wagte es aber nicht, nach ihr hinum zu
noch mehr. Thereſens traurige Briefe, und ſei- nes Kronhelms duͤſtre Denkungsart lehrten ihn die Welt, die den beſten Seelen ſo wenig Freude ge- waͤhrt, und ſie in ſo tiefen Kummer ſtuͤrzt, immer mehr gering ſchaͤtzen. Dabey war ihm bey ſeiner halbfanatiſchen Denkungsart ſo wohl, daß er ſich in keine andre Lage wuͤnſchte.
Die Kirchen, und beſonders die Frauenkloſter- kirche beſuchte er alle Sonn- und Feyertage, und naͤhrte da ſeine Phantaſie noch mehr durch das heilige Gepraͤnge, und die feyerliche Muſik. Ein- mal ſah er ein Maͤdchen neben ſich knien, uͤber deſſen Anblick er erſchrack. Es hatte die Augen andachtsvoll gen Himmel gerichtet, und warf, als er es anblickte, einen Blick auf ihn, der ſein Jnnerſtes umkehrte. Er war auf einmal aus aller Faſſung, und konnte, ohngeachtet aller Bemuͤhung, ſeine Andacht nicht mehr ſammeln. Es uͤberfiel ihn ein ſolches Zittern und Beben, daß er ſich kaum mehr auf den Knien halten konnte. Noch Einmal blickte er hinuͤber; ſie ließ eben ein Kuͤgelchen an ihrem Noſenkranz fallen, ſah ihn wieder an, und ſein Blick fuhr wie der Blitz zuruͤck. Nach etli- chen Minuten ſtand ſie auf; er hoͤrte ihr Gewand rauſchen, wagte es aber nicht, nach ihr hinum zu
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noch mehr. Thereſens traurige Briefe, und ſei-
nes Kronhelms duͤſtre Denkungsart lehrten ihn die
Welt, die den beſten Seelen ſo wenig Freude ge-
waͤhrt, und ſie in ſo tiefen Kummer ſtuͤrzt, immer
mehr gering ſchaͤtzen. Dabey war ihm bey ſeiner
halbfanatiſchen Denkungsart ſo wohl, daß er ſich in
keine andre Lage wuͤnſchte.
Die Kirchen, und beſonders die Frauenkloſter-
kirche beſuchte er alle Sonn- und Feyertage, und
naͤhrte da ſeine Phantaſie noch mehr durch das
heilige Gepraͤnge, und die feyerliche Muſik. Ein-
mal ſah er ein Maͤdchen neben ſich knien, uͤber
deſſen Anblick er erſchrack. Es hatte die Augen
andachtsvoll gen Himmel gerichtet, und warf,
als er es anblickte, einen Blick auf ihn, der ſein
Jnnerſtes umkehrte. Er war auf einmal aus aller
Faſſung, und konnte, ohngeachtet aller Bemuͤhung,
ſeine Andacht nicht mehr ſammeln. Es uͤberfiel
ihn ein ſolches Zittern und Beben, daß er ſich kaum
mehr auf den Knien halten konnte. Noch Einmal
blickte er hinuͤber; ſie ließ eben ein Kuͤgelchen an
ihrem Noſenkranz fallen, ſah ihn wieder an, und
ſein Blick fuhr wie der Blitz zuruͤck. Nach etli-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/143>, abgerufen am 29.11.2024.
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