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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Thränen waren immer das Ende dieser süssen Träu-
mereyen. --

Den nächsten Sonntag kam er erst um neun Uhr
in die Kirche. Sein Kronhelm war zu ihm aufs
Zimmer gekommen, um von Theresen zu sprechen;
und wenn er von ihr anfieng, so konnte er nicht
aufhören. Siegwart war mit seiner Seele abwe-
send, und antwortete verwirrt, aber Kronhelm merk-
te es nicht. Ein paarmal sah er auf die Uhr. Jede
Minute ward ihm zu einer Stunde. Dieß war
das erstemal, daß ihm sein Freund zur Last fiel;
aber er ließ sich doch vorsetzlich nicht das geringste
merken. Endlich gieng Kronhelm. Siegwart eil-
te, was er konnte, und kam ganz athemlos vor die
Kirche. Als die Thüre aufgieng kam eben sein
Mädchen mit der Frau, die er für ihre Mutter
hielt, ihm entgegen. Er war, wie vom Donner
gerührt. Sein Gesicht glühte. Er gieng schnell
an ihr vorbey, und machte in der Angst kaum eine
Verbeugung. Sie grüste ihn freundlich. Er eilte,
ohne sich seiner bewußt zu seyn, nach dem nächscen
Stuhl, und sah sich um. Jn dem Augenblick gieng
die Thüre zu. Sein Herz klopfte laut. Er woll-
te wieder umkehren; besann sich aber plötzlich, daß
man seine Absicht merken würde. Er war Kron-



Thraͤnen waren immer das Ende dieſer ſuͤſſen Traͤu-
mereyen. —

Den naͤchſten Sonntag kam er erſt um neun Uhr
in die Kirche. Sein Kronhelm war zu ihm aufs
Zimmer gekommen, um von Thereſen zu ſprechen;
und wenn er von ihr anfieng, ſo konnte er nicht
aufhoͤren. Siegwart war mit ſeiner Seele abwe-
ſend, und antwortete verwirrt, aber Kronhelm merk-
te es nicht. Ein paarmal ſah er auf die Uhr. Jede
Minute ward ihm zu einer Stunde. Dieß war
das erſtemal, daß ihm ſein Freund zur Laſt fiel;
aber er ließ ſich doch vorſetzlich nicht das geringſte
merken. Endlich gieng Kronhelm. Siegwart eil-
te, was er konnte, und kam ganz athemlos vor die
Kirche. Als die Thuͤre aufgieng kam eben ſein
Maͤdchen mit der Frau, die er fuͤr ihre Mutter
hielt, ihm entgegen. Er war, wie vom Donner
geruͤhrt. Sein Geſicht gluͤhte. Er gieng ſchnell
an ihr vorbey, und machte in der Angſt kaum eine
Verbeugung. Sie gruͤſte ihn freundlich. Er eilte,
ohne ſich ſeiner bewußt zu ſeyn, nach dem naͤchſcen
Stuhl, und ſah ſich um. Jn dem Augenblick gieng
die Thuͤre zu. Sein Herz klopfte laut. Er woll-
te wieder umkehren; beſann ſich aber ploͤtzlich, daß
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[590/0170] Thraͤnen waren immer das Ende dieſer ſuͤſſen Traͤu- mereyen. — Den naͤchſten Sonntag kam er erſt um neun Uhr in die Kirche. Sein Kronhelm war zu ihm aufs Zimmer gekommen, um von Thereſen zu ſprechen; und wenn er von ihr anfieng, ſo konnte er nicht aufhoͤren. Siegwart war mit ſeiner Seele abwe- ſend, und antwortete verwirrt, aber Kronhelm merk- te es nicht. Ein paarmal ſah er auf die Uhr. Jede Minute ward ihm zu einer Stunde. Dieß war das erſtemal, daß ihm ſein Freund zur Laſt fiel; aber er ließ ſich doch vorſetzlich nicht das geringſte merken. Endlich gieng Kronhelm. Siegwart eil- te, was er konnte, und kam ganz athemlos vor die Kirche. Als die Thuͤre aufgieng kam eben ſein Maͤdchen mit der Frau, die er fuͤr ihre Mutter hielt, ihm entgegen. Er war, wie vom Donner geruͤhrt. Sein Geſicht gluͤhte. Er gieng ſchnell an ihr vorbey, und machte in der Angſt kaum eine Verbeugung. Sie gruͤſte ihn freundlich. Er eilte, ohne ſich ſeiner bewußt zu ſeyn, nach dem naͤchſcen Stuhl, und ſah ſich um. Jn dem Augenblick gieng die Thuͤre zu. Sein Herz klopfte laut. Er woll- te wieder umkehren; beſann ſich aber ploͤtzlich, daß man ſeine Abſicht merken wuͤrde. Er war Kron-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 590. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/170>, abgerufen am 04.12.2024.