Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.das andere. Süßre Kost hatte Siegwart nie noch genossen. Er schlang seinen Arm um sie, und sah sie seitwärts an. Jhr Gesicht hatte eine Wehmuth, die über Thränen erhaben war. Zuweilen blickte sie zu ihm herum, und schlug schnell das Auge nie- der. Seine Brust war | gespannt, er athmete schwer, und konnte kaum den Seufzer zurückhalten. Es war ihm nicht möglich, ein Wort hervorzubringen. Er sah nichts mehr um sich her. Jhr Gesicht zer- floß vor ihm, als ob nur ein leichter Rosenduft vor ihm schwebte. Sie drückte ihm mit unaus- sprechlicher Zärtlichkeit die Hand. Er konnte die Empfindung |nicht mehr zurückhalten, und küßte sie, mit einem heissen Seufzer, auf die Wange. Jn- dem kam ein Student, und foderte sie zum Tanz auf. Sie entzog ihm, nach einem sanften Druck, die Hand, legte ihre Handschuh an, sah ihn an, und gieng, halb unwillig, mit dem Studenten weg. Er blieb unbeweglich, rückwärts an den Stuhl gelehnt, sitzen. Endlich sah er sich nach ihr um; sie tanz- te, und hatte ihr schönes Auge immer auf ihn ge- heftet. Er konnts nicht aushalten; Thränen schos- sen ihm in das seinige; er eilte in die Vertiesung des Saals ans Fenster, sah durch die Scheiben nach dem hellen Mond, und weinte. Nach etlichen Mi- das andere. Suͤßre Koſt hatte Siegwart nie noch genoſſen. Er ſchlang ſeinen Arm um ſie, und ſah ſie ſeitwaͤrts an. Jhr Geſicht hatte eine Wehmuth, die uͤber Thraͤnen erhaben war. Zuweilen blickte ſie zu ihm herum, und ſchlug ſchnell das Auge nie- der. Seine Bruſt war | geſpannt, er athmete ſchwer, und konnte kaum den Seufzer zuruͤckhalten. Es war ihm nicht moͤglich, ein Wort hervorzubringen. Er ſah nichts mehr um ſich her. Jhr Geſicht zer- floß vor ihm, als ob nur ein leichter Roſenduft vor ihm ſchwebte. Sie druͤckte ihm mit unaus- ſprechlicher Zaͤrtlichkeit die Hand. Er konnte die Empfindung |nicht mehr zuruͤckhalten, und kuͤßte ſie, mit einem heiſſen Seufzer, auf die Wange. Jn- dem kam ein Student, und foderte ſie zum Tanz auf. Sie entzog ihm, nach einem ſanften Druck, die Hand, legte ihre Handſchuh an, ſah ihn an, und gieng, halb unwillig, mit dem Studenten weg. Er blieb unbeweglich, ruͤckwaͤrts an den Stuhl gelehnt, ſitzen. Endlich ſah er ſich nach ihr um; ſie tanz- te, und hatte ihr ſchoͤnes Auge immer auf ihn ge- heftet. Er konnts nicht aushalten; Thraͤnen ſchoſ- ſen ihm in das ſeinige; er eilte in die Vertieſung des Saals ans Fenſter, ſah durch die Scheiben nach dem hellen Mond, und weinte. Nach etlichen Mi- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0275" n="695"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> das andere. Suͤßre Koſt hatte Siegwart nie noch<lb/> genoſſen. Er ſchlang ſeinen Arm um ſie, und ſah<lb/> ſie ſeitwaͤrts an. Jhr Geſicht hatte eine Wehmuth,<lb/> die uͤber Thraͤnen erhaben war. Zuweilen blickte<lb/> ſie zu ihm herum, und ſchlug ſchnell das Auge nie-<lb/> der. Seine Bruſt war | geſpannt, er athmete ſchwer,<lb/> und konnte kaum den Seufzer zuruͤckhalten. Es<lb/> war ihm nicht moͤglich, ein Wort hervorzubringen.<lb/> Er ſah nichts mehr um ſich her. Jhr Geſicht zer-<lb/> floß vor ihm, als ob nur ein leichter Roſenduft<lb/> vor ihm ſchwebte. Sie druͤckte ihm mit unaus-<lb/> ſprechlicher Zaͤrtlichkeit die Hand. Er konnte die<lb/> Empfindung |nicht mehr zuruͤckhalten, und kuͤßte ſie,<lb/> mit einem heiſſen Seufzer, auf die Wange. Jn-<lb/> dem kam ein Student, und foderte ſie zum Tanz<lb/> auf. Sie entzog ihm, nach einem ſanften Druck,<lb/> die Hand, legte ihre Handſchuh an, ſah ihn an, und<lb/> gieng, halb unwillig, mit dem Studenten weg. Er<lb/> blieb unbeweglich, ruͤckwaͤrts an den Stuhl gelehnt,<lb/> ſitzen. Endlich ſah er ſich nach ihr um; ſie tanz-<lb/> te, und hatte ihr ſchoͤnes Auge immer auf ihn ge-<lb/> heftet. Er konnts nicht aushalten; Thraͤnen ſchoſ-<lb/> ſen ihm in das ſeinige; er eilte in die Vertieſung<lb/> des Saals ans Fenſter, ſah durch die Scheiben nach<lb/> dem hellen Mond, und weinte. Nach etlichen Mi-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [695/0275]
das andere. Suͤßre Koſt hatte Siegwart nie noch
genoſſen. Er ſchlang ſeinen Arm um ſie, und ſah
ſie ſeitwaͤrts an. Jhr Geſicht hatte eine Wehmuth,
die uͤber Thraͤnen erhaben war. Zuweilen blickte
ſie zu ihm herum, und ſchlug ſchnell das Auge nie-
der. Seine Bruſt war | geſpannt, er athmete ſchwer,
und konnte kaum den Seufzer zuruͤckhalten. Es
war ihm nicht moͤglich, ein Wort hervorzubringen.
Er ſah nichts mehr um ſich her. Jhr Geſicht zer-
floß vor ihm, als ob nur ein leichter Roſenduft
vor ihm ſchwebte. Sie druͤckte ihm mit unaus-
ſprechlicher Zaͤrtlichkeit die Hand. Er konnte die
Empfindung |nicht mehr zuruͤckhalten, und kuͤßte ſie,
mit einem heiſſen Seufzer, auf die Wange. Jn-
dem kam ein Student, und foderte ſie zum Tanz
auf. Sie entzog ihm, nach einem ſanften Druck,
die Hand, legte ihre Handſchuh an, ſah ihn an, und
gieng, halb unwillig, mit dem Studenten weg. Er
blieb unbeweglich, ruͤckwaͤrts an den Stuhl gelehnt,
ſitzen. Endlich ſah er ſich nach ihr um; ſie tanz-
te, und hatte ihr ſchoͤnes Auge immer auf ihn ge-
heftet. Er konnts nicht aushalten; Thraͤnen ſchoſ-
ſen ihm in das ſeinige; er eilte in die Vertieſung
des Saals ans Fenſter, ſah durch die Scheiben nach
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