Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.und er und sie lächelten, und ihr Gesicht sank wie- der an sein Herz, das so laut schlug, daß sies hör- te. -- Morgen, morgen! sagte Siegwart traurig. Sie hub ihr Gesicht langsam auf, sah ihn schwei- gend, lang, und wehmüthig an! Ein Seufzer bebte ihre Brust herauf, und sie verbarg sich wieder an der seinigen. -- Traurig! traurig! rief sie Kron- helm zu, der eben ein Allegro spielte. Auf Ein- mal sank er ins Moll herab, in eine Düsternheit, daß den Liebenden schauerte. -- Gedenke meiner, sagte Siegwart, wenn ich fern bin! Sie drückte ihren Mund fest auf den seinigen; wendete sich ei- lig weg, nahm ihr Schnupftuch, und wischte sich das Auge. -- Nur etliche Tage! sagte Siegwart. -- Kann ich Jhnen schreiben? Sie schüttelte stillschwei- gend mit dem Kopf. Jch habe niemand, sagte sie nach einer Pause. Dann drückten sie einander fest ans Herz, und küßten sich, als ob sie den Athem und die Seelen austauschen wollten. -- Man läu- tete an der Glocke. -- Schon vorbey? sagte Sieg- wart seufzend, und stand auf. Joseph kam, und sagte, daß das Wetter sehr schlecht und ungestüm sey. Man hörte auch stark stürmen, und der Re- gen wurde heftiger. Wenn es so fort macht, sag- te Mariane, und sah unsern Siegwart bittend an, und er und ſie laͤchelten, und ihr Geſicht ſank wie- der an ſein Herz, das ſo laut ſchlug, daß ſies hoͤr- te. — Morgen, morgen! ſagte Siegwart traurig. Sie hub ihr Geſicht langſam auf, ſah ihn ſchwei- gend, lang, und wehmuͤthig an! Ein Seufzer bebte ihre Bruſt herauf, und ſie verbarg ſich wieder an der ſeinigen. — Traurig! traurig! rief ſie Kron- helm zu, der eben ein Allegro ſpielte. Auf Ein- mal ſank er ins Moll herab, in eine Duͤſternheit, daß den Liebenden ſchauerte. — Gedenke meiner, ſagte Siegwart, wenn ich fern bin! Sie druͤckte ihren Mund feſt auf den ſeinigen; wendete ſich ei- lig weg, nahm ihr Schnupftuch, und wiſchte ſich das Auge. — Nur etliche Tage! ſagte Siegwart. — Kann ich Jhnen ſchreiben? Sie ſchuͤttelte ſtillſchwei- gend mit dem Kopf. Jch habe niemand, ſagte ſie nach einer Pauſe. Dann druͤckten ſie einander feſt ans Herz, und kuͤßten ſich, als ob ſie den Athem und die Seelen austauſchen wollten. — Man laͤu- tete an der Glocke. — Schon vorbey? ſagte Sieg- wart ſeufzend, und ſtand auf. Joſeph kam, und ſagte, daß das Wetter ſehr ſchlecht und ungeſtuͤm ſey. Man hoͤrte auch ſtark ſtuͤrmen, und der Re- gen wurde heftiger. Wenn es ſo fort macht, ſag- te Mariane, und ſah unſern Siegwart bittend an, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0292" n="712"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> und er und ſie laͤchelten, und ihr Geſicht ſank wie-<lb/> der an ſein Herz, das ſo laut ſchlug, daß ſies hoͤr-<lb/> te. — Morgen, morgen! ſagte Siegwart traurig.<lb/> Sie hub ihr Geſicht langſam auf, ſah ihn ſchwei-<lb/> gend, lang, und wehmuͤthig an! Ein Seufzer bebte<lb/> ihre Bruſt herauf, und ſie verbarg ſich wieder an<lb/> der ſeinigen. — Traurig! traurig! rief ſie Kron-<lb/> helm zu, der eben ein Allegro ſpielte. Auf Ein-<lb/> mal ſank er ins Moll herab, in eine Duͤſternheit,<lb/> daß den Liebenden ſchauerte. — Gedenke meiner,<lb/> ſagte Siegwart, wenn ich fern bin! Sie druͤckte<lb/> ihren Mund feſt auf den ſeinigen; wendete ſich ei-<lb/> lig weg, nahm ihr Schnupftuch, und wiſchte ſich<lb/> das Auge. — Nur etliche Tage! ſagte Siegwart. —<lb/> Kann ich Jhnen ſchreiben? Sie ſchuͤttelte ſtillſchwei-<lb/> gend mit dem Kopf. Jch habe niemand, ſagte<lb/> ſie nach einer Pauſe. Dann druͤckten ſie einander<lb/> feſt ans Herz, und kuͤßten ſich, als ob ſie den Athem<lb/> und die Seelen austauſchen wollten. — Man laͤu-<lb/> tete an der Glocke. — Schon vorbey? ſagte Sieg-<lb/> wart ſeufzend, und ſtand auf. Joſeph kam, und<lb/> ſagte, daß das Wetter ſehr ſchlecht und ungeſtuͤm<lb/> ſey. Man hoͤrte auch ſtark ſtuͤrmen, und der Re-<lb/> gen wurde heftiger. Wenn es ſo fort macht, ſag-<lb/> te Mariane, und ſah unſern Siegwart bittend an,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [712/0292]
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der an ſein Herz, das ſo laut ſchlug, daß ſies hoͤr-
te. — Morgen, morgen! ſagte Siegwart traurig.
Sie hub ihr Geſicht langſam auf, ſah ihn ſchwei-
gend, lang, und wehmuͤthig an! Ein Seufzer bebte
ihre Bruſt herauf, und ſie verbarg ſich wieder an
der ſeinigen. — Traurig! traurig! rief ſie Kron-
helm zu, der eben ein Allegro ſpielte. Auf Ein-
mal ſank er ins Moll herab, in eine Duͤſternheit,
daß den Liebenden ſchauerte. — Gedenke meiner,
ſagte Siegwart, wenn ich fern bin! Sie druͤckte
ihren Mund feſt auf den ſeinigen; wendete ſich ei-
lig weg, nahm ihr Schnupftuch, und wiſchte ſich
das Auge. — Nur etliche Tage! ſagte Siegwart. —
Kann ich Jhnen ſchreiben? Sie ſchuͤttelte ſtillſchwei-
gend mit dem Kopf. Jch habe niemand, ſagte
ſie nach einer Pauſe. Dann druͤckten ſie einander
feſt ans Herz, und kuͤßten ſich, als ob ſie den Athem
und die Seelen austauſchen wollten. — Man laͤu-
tete an der Glocke. — Schon vorbey? ſagte Sieg-
wart ſeufzend, und ſtand auf. Joſeph kam, und
ſagte, daß das Wetter ſehr ſchlecht und ungeſtuͤm
ſey. Man hoͤrte auch ſtark ſtuͤrmen, und der Re-
gen wurde heftiger. Wenn es ſo fort macht, ſag-
te Mariane, und ſah unſern Siegwart bittend an,
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