Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.sie von jeher gegen ihn getragen, und den An- theil, den sie immer an seinen Schicksalen genom- men habe; er möchte daher doch offenherzig gegen sie seyn, und ihr alles offenbaren, was er, ohne Ver- letzung seiner Ruhe könne! etc. Kronhelm that es auch, erzählte ihr mit vieler Rührung und der grösten Aufrichtigkeit seine ganze traurige Geschich- te mit Theresen, und setzte hinzu: So lang ich von ihr getrennt leben muß, und sie nicht bekommen kann, so lang kann ich auch nicht ruhig und nicht glück- lich werden. Mein Herz wird sie ewig lieben, und ewig um sie trauren, wenn ich sie nicht ganz besitzen soll. Für mich ist dann keine Ruhe, als im Grab! -- Seine Schwester sagte: |sie habe von ihrem Onkel einen Theil seiner Geschichte schon gewußt; sie ha- be innerlich um ihn getraurt, seine Liebe und seine Leiden würden durch die Hindernisse, und durch die Zeit wieder verringert werden; nun erfahre sie mit inniger Betrübniß das Gegentheil. -- Jch bin in der Absicht hieher gereist, sagte er, den Onkel auf meine Seite zu bringen; denn, wenn ich nur sel- ber mit ihm von Theresen reden, und ihm meinen Zustand schildern könnte, so wär alles gut, aber nun ist dieses auch nichts. Seine Schwester beru- higte ihn von dieser Seite mit der Versicherung, daß ſie von jeher gegen ihn getragen, und den An- theil, den ſie immer an ſeinen Schickſalen genom- men habe; er moͤchte daher doch offenherzig gegen ſie ſeyn, und ihr alles offenbaren, was er, ohne Ver- letzung ſeiner Ruhe koͤnne! ꝛc. Kronhelm that es auch, erzaͤhlte ihr mit vieler Ruͤhrung und der groͤſten Aufrichtigkeit ſeine ganze traurige Geſchich- te mit Thereſen, und ſetzte hinzu: So lang ich von ihr getrennt leben muß, und ſie nicht bekommen kann, ſo lang kann ich auch nicht ruhig und nicht gluͤck- lich werden. Mein Herz wird ſie ewig lieben, und ewig um ſie trauren, wenn ich ſie nicht ganz beſitzen ſoll. Fuͤr mich iſt dann keine Ruhe, als im Grab! — Seine Schweſter ſagte: |ſie habe von ihrem Onkel einen Theil ſeiner Geſchichte ſchon gewußt; ſie ha- be innerlich um ihn getraurt, ſeine Liebe und ſeine Leiden wuͤrden durch die Hinderniſſe, und durch die Zeit wieder verringert werden; nun erfahre ſie mit inniger Betruͤbniß das Gegentheil. — Jch bin in der Abſicht hieher gereiſt, ſagte er, den Onkel auf meine Seite zu bringen; denn, wenn ich nur ſel- ber mit ihm von Thereſen reden, und ihm meinen Zuſtand ſchildern koͤnnte, ſo waͤr alles gut, aber nun iſt dieſes auch nichts. Seine Schweſter beru- higte ihn von dieſer Seite mit der Verſicherung, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0307" n="727"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ſie von jeher gegen ihn getragen, und den An-<lb/> theil, den ſie immer an ſeinen Schickſalen genom-<lb/> men habe; er moͤchte daher doch offenherzig gegen<lb/> ſie ſeyn, und ihr alles offenbaren, was er, ohne Ver-<lb/> letzung ſeiner Ruhe koͤnne! ꝛc. Kronhelm that es<lb/> auch, erzaͤhlte ihr mit vieler Ruͤhrung und der<lb/> groͤſten Aufrichtigkeit ſeine ganze traurige Geſchich-<lb/> te mit Thereſen, und ſetzte hinzu: So lang ich von<lb/> ihr getrennt leben muß, und ſie nicht bekommen<lb/> kann, ſo lang kann ich auch nicht ruhig und nicht gluͤck-<lb/> lich werden. Mein Herz wird ſie ewig lieben, und ewig<lb/> um ſie trauren, wenn ich ſie nicht ganz beſitzen ſoll.<lb/> Fuͤr mich iſt dann keine Ruhe, als im Grab! —<lb/> Seine Schweſter ſagte: |ſie habe von ihrem Onkel<lb/> einen Theil ſeiner Geſchichte ſchon gewußt; ſie ha-<lb/> be innerlich um ihn getraurt, ſeine Liebe und ſeine<lb/> Leiden wuͤrden durch die Hinderniſſe, und durch<lb/> die Zeit wieder verringert werden; nun erfahre ſie<lb/> mit inniger Betruͤbniß das Gegentheil. — Jch bin<lb/> in der Abſicht hieher gereiſt, ſagte er, den Onkel auf<lb/> meine Seite zu bringen; denn, wenn ich nur ſel-<lb/> ber mit ihm von Thereſen reden, und ihm meinen<lb/> Zuſtand ſchildern koͤnnte, ſo waͤr alles gut, aber<lb/> nun iſt dieſes auch nichts. Seine Schweſter beru-<lb/> higte ihn von dieſer Seite mit der Verſicherung, daß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [727/0307]
ſie von jeher gegen ihn getragen, und den An-
theil, den ſie immer an ſeinen Schickſalen genom-
men habe; er moͤchte daher doch offenherzig gegen
ſie ſeyn, und ihr alles offenbaren, was er, ohne Ver-
letzung ſeiner Ruhe koͤnne! ꝛc. Kronhelm that es
auch, erzaͤhlte ihr mit vieler Ruͤhrung und der
groͤſten Aufrichtigkeit ſeine ganze traurige Geſchich-
te mit Thereſen, und ſetzte hinzu: So lang ich von
ihr getrennt leben muß, und ſie nicht bekommen
kann, ſo lang kann ich auch nicht ruhig und nicht gluͤck-
lich werden. Mein Herz wird ſie ewig lieben, und ewig
um ſie trauren, wenn ich ſie nicht ganz beſitzen ſoll.
Fuͤr mich iſt dann keine Ruhe, als im Grab! —
Seine Schweſter ſagte: |ſie habe von ihrem Onkel
einen Theil ſeiner Geſchichte ſchon gewußt; ſie ha-
be innerlich um ihn getraurt, ſeine Liebe und ſeine
Leiden wuͤrden durch die Hinderniſſe, und durch
die Zeit wieder verringert werden; nun erfahre ſie
mit inniger Betruͤbniß das Gegentheil. — Jch bin
in der Abſicht hieher gereiſt, ſagte er, den Onkel auf
meine Seite zu bringen; denn, wenn ich nur ſel-
ber mit ihm von Thereſen reden, und ihm meinen
Zuſtand ſchildern koͤnnte, ſo waͤr alles gut, aber
nun iſt dieſes auch nichts. Seine Schweſter beru-
higte ihn von dieſer Seite mit der Verſicherung, daß
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