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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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und sagte, überhaupt, so lang sie in München wä-
ren, sollten sie immer bey ihm essen.

Den Abend assen Kronhelm und Siegwart in ih-
rem Gasthof in Gesellschaft, aber sie gingen bald
wieder auf ihr Zimmer, denn in der Gesellschaft,
die aus gemischten Personen bestand, wurden fast
lauter Spöttereyen über die Religion, Anspielun-
gen auf die Begebenheit, die am bevorstehenden
Fest gefeyert werden sollte, und Zweydeutigkeiten
vorgebracht, die in der sogenannten grossen Welt,
wo der gute Ton herrschen soll, so gewöhnlich sind,
und Leuten von Verstand und Herz nicht gefallen
können. Marx erzählte seinem Herrn, nach seiner
Art, die Merkwürdigkeiten, die er in der Stadt ge-
sehen hatte. Er habe nicht geglaubt, sagte er, daß
so viel Menschen in der Welt wären, als er heut
angetroffen habe. Es sey in seinem Dorf am
Jahrmarkt nicht so voll, wie hier auf allen Stras-
sen; und Junker hab er angetroffen, die weit schön-
re Kleider haben, als sein vorger gnädger Herr an
hohen Festen getragen habe, und doch seys jetzt
nur ein Werktag; wie's nun erst am Sonntag
seyn müsse? Es geb in seinem Dorf nicht so viele
Wagen, als er hier vergoldete Kutschen angetroffen
habe. Man hab ihm auch das Haus gezeigt, wo



und ſagte, uͤberhaupt, ſo lang ſie in Muͤnchen waͤ-
ren, ſollten ſie immer bey ihm eſſen.

Den Abend aſſen Kronhelm und Siegwart in ih-
rem Gaſthof in Geſellſchaft, aber ſie gingen bald
wieder auf ihr Zimmer, denn in der Geſellſchaft,
die aus gemiſchten Perſonen beſtand, wurden faſt
lauter Spoͤttereyen uͤber die Religion, Anſpielun-
gen auf die Begebenheit, die am bevorſtehenden
Feſt gefeyert werden ſollte, und Zweydeutigkeiten
vorgebracht, die in der ſogenannten groſſen Welt,
wo der gute Ton herrſchen ſoll, ſo gewoͤhnlich ſind,
und Leuten von Verſtand und Herz nicht gefallen
koͤnnen. Marx erzaͤhlte ſeinem Herrn, nach ſeiner
Art, die Merkwuͤrdigkeiten, die er in der Stadt ge-
ſehen hatte. Er habe nicht geglaubt, ſagte er, daß
ſo viel Menſchen in der Welt waͤren, als er heut
angetroffen habe. Es ſey in ſeinem Dorf am
Jahrmarkt nicht ſo voll, wie hier auf allen Straſ-
ſen; und Junker hab er angetroffen, die weit ſchoͤn-
re Kleider haben, als ſein vorger gnaͤdger Herr an
hohen Feſten getragen habe, und doch ſeys jetzt
nur ein Werktag; wie’s nun erſt am Sonntag
ſeyn muͤſſe? Es geb in ſeinem Dorf nicht ſo viele
Wagen, als er hier vergoldete Kutſchen angetroffen
habe. Man hab ihm auch das Haus gezeigt, wo

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[730/0310] und ſagte, uͤberhaupt, ſo lang ſie in Muͤnchen waͤ- ren, ſollten ſie immer bey ihm eſſen. Den Abend aſſen Kronhelm und Siegwart in ih- rem Gaſthof in Geſellſchaft, aber ſie gingen bald wieder auf ihr Zimmer, denn in der Geſellſchaft, die aus gemiſchten Perſonen beſtand, wurden faſt lauter Spoͤttereyen uͤber die Religion, Anſpielun- gen auf die Begebenheit, die am bevorſtehenden Feſt gefeyert werden ſollte, und Zweydeutigkeiten vorgebracht, die in der ſogenannten groſſen Welt, wo der gute Ton herrſchen ſoll, ſo gewoͤhnlich ſind, und Leuten von Verſtand und Herz nicht gefallen koͤnnen. Marx erzaͤhlte ſeinem Herrn, nach ſeiner Art, die Merkwuͤrdigkeiten, die er in der Stadt ge- ſehen hatte. Er habe nicht geglaubt, ſagte er, daß ſo viel Menſchen in der Welt waͤren, als er heut angetroffen habe. Es ſey in ſeinem Dorf am Jahrmarkt nicht ſo voll, wie hier auf allen Straſ- ſen; und Junker hab er angetroffen, die weit ſchoͤn- re Kleider haben, als ſein vorger gnaͤdger Herr an hohen Feſten getragen habe, und doch ſeys jetzt nur ein Werktag; wie’s nun erſt am Sonntag ſeyn muͤſſe? Es geb in ſeinem Dorf nicht ſo viele Wagen, als er hier vergoldete Kutſchen angetroffen habe. Man hab ihm auch das Haus gezeigt, wo

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 730. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/310>, abgerufen am 22.11.2024.