Gott, wie gut bist du! rief er einigemal aus. Dank! Dank! Du kannst mich auch nicht ver- lassen! O mein Kronhelm, o mein Kronhelm, du bist glücklich! O meine Schwester, meine Schwester! -- Er warf sich auf seine Knie. Gott! Barmherziger, Gnädiger! O, auch mich, auch mich! Und Marianen! -- Der halbe Tag zerfloß ihm unter einem fortdaurenden Taumel. Bald schrieb er etliche Zeilen in dem Brief an Kronhelm! Bald gieng er wieder auf dem Zimmer auf und ab. Zuweilen grif er nach einem Buche, wollte drinn lesen, und schlug es wieder zu; seine Seele war viel zu zerstreut, und ganz getheilt. Er sehn- te sich nach jemand, dem er seine Freude mitthei- len könnte; aber, ach, er hatte niemand, und nun fühlte er, mitten in seiner Freude, die Tren- nung von seinem Kronhelm doppelt wieder. Er sah Marianen am Fenster: er wünschte, ihr den Brief zeigen, und sie an seiner Freude mit Antheil nehmen lassen zu können; aber er wagte es nicht, sie wieder zu besuchen, da er erst vor zwey Tagen da gewesen war. Nach Tische sah er sie mit ihrem Bruder ausgehn, und vermuthete, da sie einen
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Gott, wie gut biſt du! rief er einigemal aus. Dank! Dank! Du kannſt mich auch nicht ver- laſſen! O mein Kronhelm, o mein Kronhelm, du biſt gluͤcklich! O meine Schweſter, meine Schweſter! — Er warf ſich auf ſeine Knie. Gott! Barmherziger, Gnaͤdiger! O, auch mich, auch mich! Und Marianen! — Der halbe Tag zerfloß ihm unter einem fortdaurenden Taumel. Bald ſchrieb er etliche Zeilen in dem Brief an Kronhelm! Bald gieng er wieder auf dem Zimmer auf und ab. Zuweilen grif er nach einem Buche, wollte drinn leſen, und ſchlug es wieder zu; ſeine Seele war viel zu zerſtreut, und ganz getheilt. Er ſehn- te ſich nach jemand, dem er ſeine Freude mitthei- len koͤnnte; aber, ach, er hatte niemand, und nun fuͤhlte er, mitten in ſeiner Freude, die Tren- nung von ſeinem Kronhelm doppelt wieder. Er ſah Marianen am Fenſter: er wuͤnſchte, ihr den Brief zeigen, und ſie an ſeiner Freude mit Antheil nehmen laſſen zu koͤnnen; aber er wagte es nicht, ſie wieder zu beſuchen, da er erſt vor zwey Tagen da geweſen war. Nach Tiſche ſah er ſie mit ihrem Bruder ausgehn, und vermuthete, da ſie einen
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Gott, wie gut biſt du! rief er einigemal aus.
Dank! Dank! Du kannſt mich auch nicht ver-
laſſen! O mein Kronhelm, o mein Kronhelm,
du biſt gluͤcklich! O meine Schweſter, meine
Schweſter! — Er warf ſich auf ſeine Knie. Gott!
Barmherziger, Gnaͤdiger! O, auch mich, auch
mich! Und Marianen! — Der halbe Tag zerfloß
ihm unter einem fortdaurenden Taumel. Bald
ſchrieb er etliche Zeilen in dem Brief an Kronhelm!
Bald gieng er wieder auf dem Zimmer auf und
ab. Zuweilen grif er nach einem Buche, wollte
drinn leſen, und ſchlug es wieder zu; ſeine Seele
war viel zu zerſtreut, und ganz getheilt. Er ſehn-
te ſich nach jemand, dem er ſeine Freude mitthei-
len koͤnnte; aber, ach, er hatte niemand, und
nun fuͤhlte er, mitten in ſeiner Freude, die Tren-
nung von ſeinem Kronhelm doppelt wieder. Er
ſah Marianen am Fenſter: er wuͤnſchte, ihr den
Brief zeigen, und ſie an ſeiner Freude mit Antheil
nehmen laſſen zu koͤnnen; aber er wagte es nicht,
ſie wieder zu beſuchen, da er erſt vor zwey Tagen
da geweſen war. Nach Tiſche ſah er ſie mit ihrem
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 761. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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