Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



losgerissen hätte. Kaum konnt ich mich zurückhal-
ten, mich an ihm nicht zu vergreifen. Als ich los
war, sprang ich aus dem Zimmer aufs meinige,
und schloß hinter mir zu. Jch hört ihn noch eine
Stunde lang im Haus herum lärmen, und die
Thüren zuschlagen. Kurz vor Sonnenuntergang
ritt er weg; ich wuste nicht, wohin? Meine Schwe-
ster kam erschrocken zu mir aufs Zimmer, weinte
und schrie, und bat fast auf den Knien, daß ich
mich doch geben sollte; sonst könns kein Mensch
mehr aushalten bey dem Vater. Schon seit vier-
zehn Tagen sey man nicht des Lebens bey ihm sicher,
seit mein Onkel weg sey. Dieser war nehmlich
bey ihm hier, und da gabs grossen Streit, ver-
muthlich wegen meiner. Jch konnte nichts Gewis-
ses erfahren, denn sie sprachen allein miteinander.
Meine Schwester that gar kläglich, aber ich sagt
ihr: Jch könn es nun nicht ändern; Theresen könn
ich nicht aufgeben, wenn es auch mein Leben ko-
sten sollte, u. s. w. Du weist das alle selbst schon.
Das Mädchen konnte mir nicht Unrecht geben, aber
sie sagte nur: Jch stürzte mich, und Theresen, und
sie alle in Lebensgefahr. Kunigunde stecke dahinter,
und regiere meinen Vater ganz. Er sey wie ra-
send, und könn' alles thun, u. s. w. Jch beschloß



losgeriſſen haͤtte. Kaum konnt ich mich zuruͤckhal-
ten, mich an ihm nicht zu vergreifen. Als ich los
war, ſprang ich aus dem Zimmer aufs meinige,
und ſchloß hinter mir zu. Jch hoͤrt ihn noch eine
Stunde lang im Haus herum laͤrmen, und die
Thuͤren zuſchlagen. Kurz vor Sonnenuntergang
ritt er weg; ich wuſte nicht, wohin? Meine Schwe-
ſter kam erſchrocken zu mir aufs Zimmer, weinte
und ſchrie, und bat faſt auf den Knien, daß ich
mich doch geben ſollte; ſonſt koͤnns kein Menſch
mehr aushalten bey dem Vater. Schon ſeit vier-
zehn Tagen ſey man nicht des Lebens bey ihm ſicher,
ſeit mein Onkel weg ſey. Dieſer war nehmlich
bey ihm hier, und da gabs groſſen Streit, ver-
muthlich wegen meiner. Jch konnte nichts Gewiſ-
ſes erfahren, denn ſie ſprachen allein miteinander.
Meine Schweſter that gar klaͤglich, aber ich ſagt
ihr: Jch koͤnn es nun nicht aͤndern; Thereſen koͤnn
ich nicht aufgeben, wenn es auch mein Leben ko-
ſten ſollte, u. ſ. w. Du weiſt das alle ſelbſt ſchon.
Das Maͤdchen konnte mir nicht Unrecht geben, aber
ſie ſagte nur: Jch ſtuͤrzte mich, und Thereſen, und
ſie alle in Lebensgefahr. Kunigunde ſtecke dahinter,
und regiere meinen Vater ganz. Er ſey wie ra-
ſend, und koͤnn’ alles thun, u. ſ. w. Jch beſchloß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <p><pb facs="#f0347" n="767"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
losgeri&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte. Kaum konnt ich mich zuru&#x0364;ckhal-<lb/>
ten, mich an ihm nicht zu vergreifen. Als ich los<lb/>
war, &#x017F;prang ich aus dem Zimmer aufs meinige,<lb/>
und &#x017F;chloß hinter mir zu. Jch ho&#x0364;rt ihn noch eine<lb/>
Stunde lang im Haus herum la&#x0364;rmen, und die<lb/>
Thu&#x0364;ren zu&#x017F;chlagen. Kurz vor Sonnenuntergang<lb/>
ritt er weg; ich wu&#x017F;te nicht, wohin? Meine Schwe-<lb/>
&#x017F;ter kam er&#x017F;chrocken zu mir aufs Zimmer, weinte<lb/>
und &#x017F;chrie, und bat fa&#x017F;t auf den Knien, daß ich<lb/>
mich doch geben &#x017F;ollte; &#x017F;on&#x017F;t ko&#x0364;nns kein Men&#x017F;ch<lb/>
mehr aushalten bey dem Vater. Schon &#x017F;eit vier-<lb/>
zehn Tagen &#x017F;ey man nicht des Lebens bey ihm &#x017F;icher,<lb/>
&#x017F;eit mein Onkel weg &#x017F;ey. Die&#x017F;er war nehmlich<lb/>
bey ihm hier, und da gabs gro&#x017F;&#x017F;en Streit, ver-<lb/>
muthlich wegen meiner. Jch konnte nichts Gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;es erfahren, denn &#x017F;ie &#x017F;prachen allein miteinander.<lb/>
Meine Schwe&#x017F;ter that gar kla&#x0364;glich, aber ich &#x017F;agt<lb/>
ihr: Jch ko&#x0364;nn es nun nicht a&#x0364;ndern; There&#x017F;en ko&#x0364;nn<lb/>
ich nicht aufgeben, wenn es auch mein Leben ko-<lb/>
&#x017F;ten &#x017F;ollte, u. &#x017F;. w. Du wei&#x017F;t das alle &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon.<lb/>
Das Ma&#x0364;dchen konnte mir nicht Unrecht geben, aber<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;agte nur: Jch &#x017F;tu&#x0364;rzte mich, und There&#x017F;en, und<lb/>
&#x017F;ie alle in Lebensgefahr. Kunigunde &#x017F;tecke dahinter,<lb/>
und regiere meinen Vater ganz. Er &#x017F;ey wie ra-<lb/>
&#x017F;end, und ko&#x0364;nn&#x2019; alles thun, u. &#x017F;. w. Jch be&#x017F;chloß<lb/></p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[767/0347] losgeriſſen haͤtte. Kaum konnt ich mich zuruͤckhal- ten, mich an ihm nicht zu vergreifen. Als ich los war, ſprang ich aus dem Zimmer aufs meinige, und ſchloß hinter mir zu. Jch hoͤrt ihn noch eine Stunde lang im Haus herum laͤrmen, und die Thuͤren zuſchlagen. Kurz vor Sonnenuntergang ritt er weg; ich wuſte nicht, wohin? Meine Schwe- ſter kam erſchrocken zu mir aufs Zimmer, weinte und ſchrie, und bat faſt auf den Knien, daß ich mich doch geben ſollte; ſonſt koͤnns kein Menſch mehr aushalten bey dem Vater. Schon ſeit vier- zehn Tagen ſey man nicht des Lebens bey ihm ſicher, ſeit mein Onkel weg ſey. Dieſer war nehmlich bey ihm hier, und da gabs groſſen Streit, ver- muthlich wegen meiner. Jch konnte nichts Gewiſ- ſes erfahren, denn ſie ſprachen allein miteinander. Meine Schweſter that gar klaͤglich, aber ich ſagt ihr: Jch koͤnn es nun nicht aͤndern; Thereſen koͤnn ich nicht aufgeben, wenn es auch mein Leben ko- ſten ſollte, u. ſ. w. Du weiſt das alle ſelbſt ſchon. Das Maͤdchen konnte mir nicht Unrecht geben, aber ſie ſagte nur: Jch ſtuͤrzte mich, und Thereſen, und ſie alle in Lebensgefahr. Kunigunde ſtecke dahinter, und regiere meinen Vater ganz. Er ſey wie ra- ſend, und koͤnn’ alles thun, u. ſ. w. Jch beſchloß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/347
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 767. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/347>, abgerufen am 22.11.2024.