Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.mein Unglück dir erzählen! Jch kanns nicht. Die- se blutigen Zähren, die ich auf das Blatt hin wei- ne, sind das Letzte, was ich dir in diesem Leben weihen kann. Meine Seele ist tief gebeugt zur Erden, und schmachtet nach dem Grabe. Dir zu leben, war der Wunsch, der mich bisher noch an den Leib fesselte. Nun er hin ist, kenn' ich kei- nen Wunsch mehr, als für dich zu sterben. Jch eile dahin, wo der Tod laurt. Jch will ihn aus seinem Hinterhalt herausweinen, daß er komm, und mich in seinen eisernen Arm schließe. -- O Therese! Was ich wünschen kann für mich, ist ei- ne Thräne, daß du sie dem Jüngling weinest, der dich liebte, wie kein Sterblicher geliebt hat. Wei- ne sie, und sey dann glücklich, wenn dus seyn kannst ohne mich! -- Jch hab keinen Trost für dich! Wie kann der trösten, der sonst keinen Freund hat, als den Tod! Bethen kann ich, wenn noch das Gebeth des Elends hilft. Gott! Nur ei- nen Tropfen Trost für sie! Jch will gerne dursten, bis mein Ende kömmt. -- Therese! Nicht wahr, ich quäle dich? Nun, verzeih! Jch wust es nicht; sonst hätt ich meine Hand gelähmt, eh ich dieses Blatt schrieb! -- Aber ich muste noch zu dir reden. Leb denn wohl, Engel! und hab Dank für deine mein Ungluͤck dir erzaͤhlen! Jch kanns nicht. Die- ſe blutigen Zaͤhren, die ich auf das Blatt hin wei- ne, ſind das Letzte, was ich dir in dieſem Leben weihen kann. Meine Seele iſt tief gebeugt zur Erden, und ſchmachtet nach dem Grabe. Dir zu leben, war der Wunſch, der mich bisher noch an den Leib feſſelte. Nun er hin iſt, kenn’ ich kei- nen Wunſch mehr, als fuͤr dich zu ſterben. Jch eile dahin, wo der Tod laurt. Jch will ihn aus ſeinem Hinterhalt herausweinen, daß er komm, und mich in ſeinen eiſernen Arm ſchließe. — O Thereſe! Was ich wuͤnſchen kann fuͤr mich, iſt ei- ne Thraͤne, daß du ſie dem Juͤngling weineſt, der dich liebte, wie kein Sterblicher geliebt hat. Wei- ne ſie, und ſey dann gluͤcklich, wenn dus ſeyn kannſt ohne mich! — Jch hab keinen Troſt fuͤr dich! Wie kann der troͤſten, der ſonſt keinen Freund hat, als den Tod! Bethen kann ich, wenn noch das Gebeth des Elends hilft. Gott! Nur ei- nen Tropfen Troſt fuͤr ſie! Jch will gerne durſten, bis mein Ende koͤmmt. — Thereſe! Nicht wahr, ich quaͤle dich? Nun, verzeih! Jch wuſt es nicht; ſonſt haͤtt ich meine Hand gelaͤhmt, eh ich dieſes Blatt ſchrieb! — Aber ich muſte noch zu dir reden. Leb denn wohl, Engel! und hab Dank fuͤr deine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <floatingText> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0355" n="775"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> mein Ungluͤck dir erzaͤhlen! Jch kanns nicht. Die-<lb/> ſe blutigen Zaͤhren, die ich auf das Blatt hin wei-<lb/> ne, ſind das Letzte, was ich dir in dieſem Leben<lb/> weihen kann. Meine Seele iſt tief gebeugt zur<lb/> Erden, und ſchmachtet nach dem Grabe. Dir zu<lb/> leben, war der Wunſch, der mich bisher noch an<lb/> den Leib feſſelte. Nun er hin iſt, kenn’ ich kei-<lb/> nen Wunſch mehr, als fuͤr dich zu ſterben. Jch<lb/> eile dahin, wo der Tod laurt. Jch will ihn aus<lb/> ſeinem Hinterhalt herausweinen, daß er komm,<lb/> und mich in ſeinen eiſernen Arm ſchließe. — O<lb/> Thereſe! Was ich wuͤnſchen kann fuͤr mich, iſt ei-<lb/> ne Thraͤne, daß du ſie dem Juͤngling weineſt, der<lb/> dich liebte, wie kein Sterblicher geliebt hat. Wei-<lb/> ne ſie, und ſey dann gluͤcklich, wenn dus ſeyn<lb/> kannſt ohne mich! — Jch hab keinen Troſt fuͤr<lb/> dich! Wie kann der troͤſten, der ſonſt keinen<lb/> Freund hat, als den Tod! Bethen kann ich, wenn<lb/> noch das Gebeth des Elends hilft. Gott! Nur ei-<lb/> nen Tropfen Troſt fuͤr ſie! Jch will gerne durſten,<lb/> bis mein Ende koͤmmt. — Thereſe! Nicht wahr,<lb/> ich quaͤle dich? Nun, verzeih! Jch wuſt es nicht;<lb/> ſonſt haͤtt ich meine Hand gelaͤhmt, eh ich dieſes<lb/> Blatt ſchrieb! — Aber ich muſte noch zu dir reden.<lb/> Leb denn wohl, Engel! und hab Dank fuͤr deine<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </p> </div> </body> </text> </TEI> [775/0355]
mein Ungluͤck dir erzaͤhlen! Jch kanns nicht. Die-
ſe blutigen Zaͤhren, die ich auf das Blatt hin wei-
ne, ſind das Letzte, was ich dir in dieſem Leben
weihen kann. Meine Seele iſt tief gebeugt zur
Erden, und ſchmachtet nach dem Grabe. Dir zu
leben, war der Wunſch, der mich bisher noch an
den Leib feſſelte. Nun er hin iſt, kenn’ ich kei-
nen Wunſch mehr, als fuͤr dich zu ſterben. Jch
eile dahin, wo der Tod laurt. Jch will ihn aus
ſeinem Hinterhalt herausweinen, daß er komm,
und mich in ſeinen eiſernen Arm ſchließe. — O
Thereſe! Was ich wuͤnſchen kann fuͤr mich, iſt ei-
ne Thraͤne, daß du ſie dem Juͤngling weineſt, der
dich liebte, wie kein Sterblicher geliebt hat. Wei-
ne ſie, und ſey dann gluͤcklich, wenn dus ſeyn
kannſt ohne mich! — Jch hab keinen Troſt fuͤr
dich! Wie kann der troͤſten, der ſonſt keinen
Freund hat, als den Tod! Bethen kann ich, wenn
noch das Gebeth des Elends hilft. Gott! Nur ei-
nen Tropfen Troſt fuͤr ſie! Jch will gerne durſten,
bis mein Ende koͤmmt. — Thereſe! Nicht wahr,
ich quaͤle dich? Nun, verzeih! Jch wuſt es nicht;
ſonſt haͤtt ich meine Hand gelaͤhmt, eh ich dieſes
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