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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Ach wie gern, Jhr Lieben, freute
Meine Seele sich mit Euch!
Wenn nicht ein Geschick mir dräute,
Eurem, nun verfloßnen, gleich.
Drohende Gewitter drängen
Sich in schwarzer Nacht daher;
Dunkle Wetterwolken hängen
Ueber meine Scheitel her.
Mit der ängstlichbangen Zähre
Steigt ein Seufzer aus der Nacht:
Daß der Tag auf ewig währe,
Der Euch jetzt so heiter lacht! --
Blickt aus Eurem Sonnenscheine
Mir den hellen Trost herbey:
Daß mein Aug nicht ewig weine,
Und mich Lieb' auch einst erfreu!

Den andern Tag, als Siegwart ausgegangen
war, sagte man ihm bey seiner Nachhausekunft,
daß ein fremder Bedienter nach ihm gefragt ha-
be, der in einer Stunde wiederkommen well-
te. Siegwart konnte nicht begreifen, wer
der Bediente seyn, und was er bey ihm zu
thun haben müsse? Er sann hin und her, und
machte sich tausenderley Einbildungen, ängstliche
und angenehme. Nach einer Stunde kam der Be-



Ach wie gern, Jhr Lieben, freute
Meine Seele ſich mit Euch!
Wenn nicht ein Geſchick mir draͤute,
Eurem, nun verfloßnen, gleich.
Drohende Gewitter draͤngen
Sich in ſchwarzer Nacht daher;
Dunkle Wetterwolken haͤngen
Ueber meine Scheitel her.
Mit der aͤngſtlichbangen Zaͤhre
Steigt ein Seufzer aus der Nacht:
Daß der Tag auf ewig waͤhre,
Der Euch jetzt ſo heiter lacht! —
Blickt aus Eurem Sonnenſcheine
Mir den hellen Troſt herbey:
Daß mein Aug nicht ewig weine,
Und mich Lieb’ auch einſt erfreu!

Den andern Tag, als Siegwart ausgegangen
war, ſagte man ihm bey ſeiner Nachhauſekunft,
daß ein fremder Bedienter nach ihm gefragt ha-
be, der in einer Stunde wiederkommen well-
te. Siegwart konnte nicht begreifen, wer
der Bediente ſeyn, und was er bey ihm zu
thun haben muͤſſe? Er ſann hin und her, und
machte ſich tauſenderley Einbildungen, aͤngſtliche
und angenehme. Nach einer Stunde kam der Be-

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[800/0380] Ach wie gern, Jhr Lieben, freute Meine Seele ſich mit Euch! Wenn nicht ein Geſchick mir draͤute, Eurem, nun verfloßnen, gleich. Drohende Gewitter draͤngen Sich in ſchwarzer Nacht daher; Dunkle Wetterwolken haͤngen Ueber meine Scheitel her. Mit der aͤngſtlichbangen Zaͤhre Steigt ein Seufzer aus der Nacht: Daß der Tag auf ewig waͤhre, Der Euch jetzt ſo heiter lacht! — Blickt aus Eurem Sonnenſcheine Mir den hellen Troſt herbey: Daß mein Aug nicht ewig weine, Und mich Lieb’ auch einſt erfreu! Den andern Tag, als Siegwart ausgegangen war, ſagte man ihm bey ſeiner Nachhauſekunft, daß ein fremder Bedienter nach ihm gefragt ha- be, der in einer Stunde wiederkommen well- te. Siegwart konnte nicht begreifen, wer der Bediente ſeyn, und was er bey ihm zu thun haben muͤſſe? Er ſann hin und her, und machte ſich tauſenderley Einbildungen, aͤngſtliche und angenehme. Nach einer Stunde kam der Be-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 800. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/380>, abgerufen am 22.11.2024.