ihm ausschlug. Er lächelte; Sie auch, und fuhr ihm sanft mit der Hand über sein Gesicht. Er umschlang sie. Lieber, lieber Engel, sprach er, sind Sie wieder mein? Wollen Sie mein bleiben? Sie lehnte ihr Gesicht an seine Brust, und drückte seine Hand sanft. Oft sassen sie lange stillschwei- gend da; Gesicht an Gesicht geschmiegt; Er hörte ihren Athem, wie er erst langsam, nach und nach schneller und stärker gieng, und zuletzt ein Seufzer ward. Dann drückte er sie wieder fester an sein Herz, seinen Mund an ihren Mund; sog ihren Kuß, und ihren sanften, reinen Athem ein. -- Lieben Sie mich auch? fragte er ein paarmal ganz leise. O unendlich! antwortete sie, und ihr Auge, das so zärtlich und so frey ihn ansah, sag- te, daß es wahr sey.
Ein paarmal blickte Siegwart zum Himmel. Der ganze Ausdruck seines Blicks war Dank. Gott, ach Gott! dachte er; wie unendlich hast du mich gesegnet! Alles, alles, was du meinem Wunsch auf Erden geben konntest, die ganze Welt in mei- nem Arm! Alles andre ist mir nichts; ist Staub! Laß mir nur Sie, nur Sie! Gott, ach Gott, nur Sie! Und dann drückte er sie wieder feucrvoller an sein Herz. -- Warlich! Eine solche Liebe muß die
ihm auſſchlug. Er laͤchelte; Sie auch, und fuhr ihm ſanft mit der Hand uͤber ſein Geſicht. Er umſchlang ſie. Lieber, lieber Engel, ſprach er, ſind Sie wieder mein? Wollen Sie mein bleiben? Sie lehnte ihr Geſicht an ſeine Bruſt, und druͤckte ſeine Hand ſanft. Oft ſaſſen ſie lange ſtillſchwei- gend da; Geſicht an Geſicht geſchmiegt; Er hoͤrte ihren Athem, wie er erſt langſam, nach und nach ſchneller und ſtaͤrker gieng, und zuletzt ein Seufzer ward. Dann druͤckte er ſie wieder feſter an ſein Herz, ſeinen Mund an ihren Mund; ſog ihren Kuß, und ihren ſanften, reinen Athem ein. — Lieben Sie mich auch? fragte er ein paarmal ganz leiſe. O unendlich! antwortete ſie, und ihr Auge, das ſo zaͤrtlich und ſo frey ihn anſah, ſag- te, daß es wahr ſey.
Ein paarmal blickte Siegwart zum Himmel. Der ganze Ausdruck ſeines Blicks war Dank. Gott, ach Gott! dachte er; wie unendlich haſt du mich geſegnet! Alles, alles, was du meinem Wunſch auf Erden geben konnteſt, die ganze Welt in mei- nem Arm! Alles andre iſt mir nichts; iſt Staub! Laß mir nur Sie, nur Sie! Gott, ach Gott, nur Sie! Und dann druͤckte er ſie wieder feucrvoller an ſein Herz. — Warlich! Eine ſolche Liebe muß die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0387"n="807"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
ihm auſſchlug. Er laͤchelte; Sie auch, und fuhr<lb/>
ihm ſanft mit der Hand uͤber ſein Geſicht. Er<lb/>
umſchlang ſie. Lieber, lieber Engel, ſprach er,<lb/>ſind Sie wieder mein? Wollen Sie mein bleiben?<lb/>
Sie lehnte ihr Geſicht an ſeine Bruſt, und druͤckte<lb/>ſeine Hand ſanft. Oft ſaſſen ſie lange ſtillſchwei-<lb/>
gend da; Geſicht an Geſicht geſchmiegt; Er hoͤrte<lb/>
ihren Athem, wie er erſt langſam, nach und nach<lb/>ſchneller und ſtaͤrker gieng, und zuletzt ein Seufzer<lb/>
ward. Dann druͤckte er ſie wieder feſter an ſein<lb/>
Herz, ſeinen Mund an ihren Mund; ſog ihren<lb/>
Kuß, und ihren ſanften, reinen Athem ein. —<lb/>
Lieben Sie mich auch? fragte er ein paarmal<lb/>
ganz leiſe. O unendlich! antwortete ſie, und ihr<lb/>
Auge, das ſo zaͤrtlich und ſo frey ihn anſah, ſag-<lb/>
te, daß es wahr ſey.</p><lb/><p>Ein paarmal blickte Siegwart zum Himmel.<lb/>
Der ganze Ausdruck ſeines Blicks war Dank.<lb/>
Gott, ach Gott! dachte er; wie unendlich haſt du<lb/>
mich geſegnet! Alles, alles, was du meinem Wunſch<lb/>
auf Erden geben konnteſt, die ganze Welt in mei-<lb/>
nem Arm! Alles andre iſt mir nichts; iſt Staub!<lb/>
Laß mir nur Sie, nur Sie! Gott, ach Gott, nur<lb/>
Sie! Und dann druͤckte er ſie wieder feucrvoller an<lb/>ſein Herz. — Warlich! Eine ſolche Liebe muß die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[807/0387]
ihm auſſchlug. Er laͤchelte; Sie auch, und fuhr
ihm ſanft mit der Hand uͤber ſein Geſicht. Er
umſchlang ſie. Lieber, lieber Engel, ſprach er,
ſind Sie wieder mein? Wollen Sie mein bleiben?
Sie lehnte ihr Geſicht an ſeine Bruſt, und druͤckte
ſeine Hand ſanft. Oft ſaſſen ſie lange ſtillſchwei-
gend da; Geſicht an Geſicht geſchmiegt; Er hoͤrte
ihren Athem, wie er erſt langſam, nach und nach
ſchneller und ſtaͤrker gieng, und zuletzt ein Seufzer
ward. Dann druͤckte er ſie wieder feſter an ſein
Herz, ſeinen Mund an ihren Mund; ſog ihren
Kuß, und ihren ſanften, reinen Athem ein. —
Lieben Sie mich auch? fragte er ein paarmal
ganz leiſe. O unendlich! antwortete ſie, und ihr
Auge, das ſo zaͤrtlich und ſo frey ihn anſah, ſag-
te, daß es wahr ſey.
Ein paarmal blickte Siegwart zum Himmel.
Der ganze Ausdruck ſeines Blicks war Dank.
Gott, ach Gott! dachte er; wie unendlich haſt du
mich geſegnet! Alles, alles, was du meinem Wunſch
auf Erden geben konnteſt, die ganze Welt in mei-
nem Arm! Alles andre iſt mir nichts; iſt Staub!
Laß mir nur Sie, nur Sie! Gott, ach Gott, nur
Sie! Und dann druͤckte er ſie wieder feucrvoller an
ſein Herz. — Warlich! Eine ſolche Liebe muß die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 807. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/387>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.