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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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und weinte vor Zärtlichkeit. Sie langte nach
dem Schnupstuch, um die Thränen wegzuwischen.
Siegwart hielt ihre Hand; nicht wegwischen! sag-
te er, ich muß sie wegküssen! Halbe Stunden
lang sprachen sie kein Wort. Das Abendroth
schien ihr durch die Hecken ins Gesicht. Die
Sonne geht schon unter, sagte er, wir müssen zur
Gesellschaft! Sie stunden auf, und giengen nach
dem Garten. Siegwart brach von einem Ro-
senstrauch zwo Rosen ab, die auf Einem Zweig
stunden. Er wollte sie voneinander reissen, um
die Eine davon Marianen zu geben. Trenne sie
nicht! sagte sie, sie sind ein Paar. Er steckte
beyde an ihren heiligen Busen, mit den Worten:
so mögen sie denn miteinander sterben! Karoline
und ihre Tante sassen vor dem Gartenhaus un-
ter den Kastanienbäumen. Seyd ihr glücklich?
fragte Frau Held. Unaussprechlich! antwortete
Mariane. So daß ich fürchte, setzte Siegwart
hinzu, unser Glück ist gar zu groß! wir müssens
bald verlieren! Da sey Gott vor! sagte Karoli-
ne. Sie giengen in den Gartensaal, und assen
Erdbeeren in Milch. Wenn Mariane eine große
fand, so legte sie sie mit dem Löffel auf Sieg-
warts Teller. Als sie die ihrigen eher aufgeges-



und weinte vor Zaͤrtlichkeit. Sie langte nach
dem Schnupſtuch, um die Thraͤnen wegzuwiſchen.
Siegwart hielt ihre Hand; nicht wegwiſchen! ſag-
te er, ich muß ſie wegkuͤſſen! Halbe Stunden
lang ſprachen ſie kein Wort. Das Abendroth
ſchien ihr durch die Hecken ins Geſicht. Die
Sonne geht ſchon unter, ſagte er, wir muͤſſen zur
Geſellſchaft! Sie ſtunden auf, und giengen nach
dem Garten. Siegwart brach von einem Ro-
ſenſtrauch zwo Roſen ab, die auf Einem Zweig
ſtunden. Er wollte ſie voneinander reiſſen, um
die Eine davon Marianen zu geben. Trenne ſie
nicht! ſagte ſie, ſie ſind ein Paar. Er ſteckte
beyde an ihren heiligen Buſen, mit den Worten:
ſo moͤgen ſie denn miteinander ſterben! Karoline
und ihre Tante ſaſſen vor dem Gartenhaus un-
ter den Kaſtanienbaͤumen. Seyd ihr gluͤcklich?
fragte Frau Held. Unausſprechlich! antwortete
Mariane. So daß ich fuͤrchte, ſetzte Siegwart
hinzu, unſer Gluͤck iſt gar zu groß! wir muͤſſens
bald verlieren! Da ſey Gott vor! ſagte Karoli-
ne. Sie giengen in den Gartenſaal, und aſſen
Erdbeeren in Milch. Wenn Mariane eine große
fand, ſo legte ſie ſie mit dem Loͤffel auf Sieg-
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[847/0427] und weinte vor Zaͤrtlichkeit. Sie langte nach dem Schnupſtuch, um die Thraͤnen wegzuwiſchen. Siegwart hielt ihre Hand; nicht wegwiſchen! ſag- te er, ich muß ſie wegkuͤſſen! Halbe Stunden lang ſprachen ſie kein Wort. Das Abendroth ſchien ihr durch die Hecken ins Geſicht. Die Sonne geht ſchon unter, ſagte er, wir muͤſſen zur Geſellſchaft! Sie ſtunden auf, und giengen nach dem Garten. Siegwart brach von einem Ro- ſenſtrauch zwo Roſen ab, die auf Einem Zweig ſtunden. Er wollte ſie voneinander reiſſen, um die Eine davon Marianen zu geben. Trenne ſie nicht! ſagte ſie, ſie ſind ein Paar. Er ſteckte beyde an ihren heiligen Buſen, mit den Worten: ſo moͤgen ſie denn miteinander ſterben! Karoline und ihre Tante ſaſſen vor dem Gartenhaus un- ter den Kaſtanienbaͤumen. Seyd ihr gluͤcklich? fragte Frau Held. Unausſprechlich! antwortete Mariane. So daß ich fuͤrchte, ſetzte Siegwart hinzu, unſer Gluͤck iſt gar zu groß! wir muͤſſens bald verlieren! Da ſey Gott vor! ſagte Karoli- ne. Sie giengen in den Gartenſaal, und aſſen Erdbeeren in Milch. Wenn Mariane eine große fand, ſo legte ſie ſie mit dem Loͤffel auf Sieg- warts Teller. Als ſie die ihrigen eher aufgegeſ-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 847. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/427>, abgerufen am 22.11.2024.