Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



von ihr Abschied zu nehmen, die ihn aufs freund-
schaftlichste empfieng, und ihm auf die theilneh-
mendste Art ihr Beyleid bezeugte. Mariane be-
gleitete ihn die Treppe hinab, sank in der Haus-
thür noch einmal in seinen Arm, weinte an sei-
nem Busen, und versprach ihm, alle Tage etwas
an ihn aufzuschreiben. Er riß sich aus ihren Ar-
men los, und gieng.

Nach einer Stunde setzte er sich zu Pferd, sah
noch einmal weinend zu seiner Mariane hinauf,
und ritt weg. Schmerz und tiefe Traurigkeit be-
gleiteten ihn auf dem ganzen Wege. Jn einem
Dorf stieß er auf ein Leichenbegängnis. Dieser
Anblick durchbohrte ihm das Herz. Er ritt schnell
vorbey, um seine Thränen zu verbergen. Er stell-
te spät bey Nacht ein, und ritt Morgens wieder
früh weg. Den andern Tag kam er, ziemlich
spät, in seinem Dorf, und vor seinem Haus an.
Kein Mensch kam ans Fenster. Nur im hintern
Zimmer sah er ein schwaches Licht. Er führte sein
Pferd selbst in den Stall, und gieng ins Haus.
Alles war still; kein Mensch begegnete ihm. Zit-
ternd, und mit lautem Herzklopfen gieng er an das
Zimmer seines Vaters. Auch da hörte er keinen

K k k



von ihr Abſchied zu nehmen, die ihn aufs freund-
ſchaftlichſte empfieng, und ihm auf die theilneh-
mendſte Art ihr Beyleid bezeugte. Mariane be-
gleitete ihn die Treppe hinab, ſank in der Haus-
thuͤr noch einmal in ſeinen Arm, weinte an ſei-
nem Buſen, und verſprach ihm, alle Tage etwas
an ihn aufzuſchreiben. Er riß ſich aus ihren Ar-
men los, und gieng.

Nach einer Stunde ſetzte er ſich zu Pferd, ſah
noch einmal weinend zu ſeiner Mariane hinauf,
und ritt weg. Schmerz und tiefe Traurigkeit be-
gleiteten ihn auf dem ganzen Wege. Jn einem
Dorf ſtieß er auf ein Leichenbegaͤngnis. Dieſer
Anblick durchbohrte ihm das Herz. Er ritt ſchnell
vorbey, um ſeine Thraͤnen zu verbergen. Er ſtell-
te ſpaͤt bey Nacht ein, und ritt Morgens wieder
fruͤh weg. Den andern Tag kam er, ziemlich
ſpaͤt, in ſeinem Dorf, und vor ſeinem Haus an.
Kein Menſch kam ans Fenſter. Nur im hintern
Zimmer ſah er ein ſchwaches Licht. Er fuͤhrte ſein
Pferd ſelbſt in den Stall, und gieng ins Haus.
Alles war ſtill; kein Menſch begegnete ihm. Zit-
ternd, und mit lautem Herzklopfen gieng er an das
Zimmer ſeines Vaters. Auch da hoͤrte er keinen

K k k
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0453" n="873"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
von ihr Ab&#x017F;chied zu nehmen, die ihn aufs freund-<lb/>
&#x017F;chaftlich&#x017F;te empfieng, und ihm auf die theilneh-<lb/>
mend&#x017F;te Art ihr Beyleid bezeugte. Mariane be-<lb/>
gleitete ihn die Treppe hinab, &#x017F;ank in der Haus-<lb/>
thu&#x0364;r noch einmal in &#x017F;einen Arm, weinte an &#x017F;ei-<lb/>
nem Bu&#x017F;en, und ver&#x017F;prach ihm, alle Tage etwas<lb/>
an ihn aufzu&#x017F;chreiben. Er riß &#x017F;ich aus ihren Ar-<lb/>
men los, und gieng.</p><lb/>
        <p>Nach einer Stunde &#x017F;etzte er &#x017F;ich zu Pferd, &#x017F;ah<lb/>
noch einmal weinend zu &#x017F;einer Mariane hinauf,<lb/>
und ritt weg. Schmerz und tiefe Traurigkeit be-<lb/>
gleiteten ihn auf dem ganzen Wege. Jn einem<lb/>
Dorf &#x017F;tieß er auf ein Leichenbega&#x0364;ngnis. Die&#x017F;er<lb/>
Anblick durchbohrte ihm das Herz. Er ritt &#x017F;chnell<lb/>
vorbey, um &#x017F;eine Thra&#x0364;nen zu verbergen. Er &#x017F;tell-<lb/>
te &#x017F;pa&#x0364;t bey Nacht ein, und ritt Morgens wieder<lb/>
fru&#x0364;h weg. Den andern Tag kam er, ziemlich<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;t, in &#x017F;einem Dorf, und vor &#x017F;einem Haus an.<lb/>
Kein Men&#x017F;ch kam ans Fen&#x017F;ter. Nur im hintern<lb/>
Zimmer &#x017F;ah er ein &#x017F;chwaches Licht. Er fu&#x0364;hrte &#x017F;ein<lb/>
Pferd &#x017F;elb&#x017F;t in den Stall, und gieng ins Haus.<lb/>
Alles war &#x017F;till; kein Men&#x017F;ch begegnete ihm. Zit-<lb/>
ternd, und mit lautem Herzklopfen gieng er an das<lb/>
Zimmer &#x017F;eines Vaters. Auch da ho&#x0364;rte er keinen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k k</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[873/0453] von ihr Abſchied zu nehmen, die ihn aufs freund- ſchaftlichſte empfieng, und ihm auf die theilneh- mendſte Art ihr Beyleid bezeugte. Mariane be- gleitete ihn die Treppe hinab, ſank in der Haus- thuͤr noch einmal in ſeinen Arm, weinte an ſei- nem Buſen, und verſprach ihm, alle Tage etwas an ihn aufzuſchreiben. Er riß ſich aus ihren Ar- men los, und gieng. Nach einer Stunde ſetzte er ſich zu Pferd, ſah noch einmal weinend zu ſeiner Mariane hinauf, und ritt weg. Schmerz und tiefe Traurigkeit be- gleiteten ihn auf dem ganzen Wege. Jn einem Dorf ſtieß er auf ein Leichenbegaͤngnis. Dieſer Anblick durchbohrte ihm das Herz. Er ritt ſchnell vorbey, um ſeine Thraͤnen zu verbergen. Er ſtell- te ſpaͤt bey Nacht ein, und ritt Morgens wieder fruͤh weg. Den andern Tag kam er, ziemlich ſpaͤt, in ſeinem Dorf, und vor ſeinem Haus an. Kein Menſch kam ans Fenſter. Nur im hintern Zimmer ſah er ein ſchwaches Licht. Er fuͤhrte ſein Pferd ſelbſt in den Stall, und gieng ins Haus. Alles war ſtill; kein Menſch begegnete ihm. Zit- ternd, und mit lautem Herzklopfen gieng er an das Zimmer ſeines Vaters. Auch da hoͤrte er keinen K k k

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/453
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 873. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/453>, abgerufen am 22.11.2024.