Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



stieß ungeduldige Reden aus. Gottlob! sagte er,
daß ich solche Kerls verachten kann, und kein so
niederträchtiges Herz habe! Du sollst mein seyn,
Mariane, und wenn dich alle Welt mir rauben
wollte! Jch will mir schon helfen! -- Mich ei-
nen gottsvergessenen Menschen nennen! Gott!
du weist, wie ichs redlich meyne! -- Er lief noch
lang auf und ab, ohne etwas deutliches zu denken.
Endlich, als die erste Heftigkeit vorbey war, stie-
gen ihm doch allerley Zweifel auf, wie er sich in
dieser Sache helfen wollte? Er hatte sich um das
Vermögen seines Vaters nie bekümmert, und wußte
also nicht, wie viel ihn auf seinen Antheil treffen,
und ob er damit die Kosten zu seinem Studie-
ren werde bestreiten können? Keine ausdrück-
liche Erklärung seines Vaters war da, und eine
gerichtliche Behandlung der Sache scheute er auch.
Er verlohr sich also in einem Labyrinth von Sorgen
und Bedenklichkeiten. Er mochte hin und her sin-
nen, wie er wollte, er fand keinen Ausweg. End-
lich stürzten ihm Thränen von den Augen; er sah
gen Himmel, und konnte nichts sagen, als: Gott!
Gott! --

Salome kam zu ihm, und sagte: Sie müßten
heut bey ihrem Bruder essen, weil sies gestern



ſtieß ungeduldige Reden aus. Gottlob! ſagte er,
daß ich ſolche Kerls verachten kann, und kein ſo
niedertraͤchtiges Herz habe! Du ſollſt mein ſeyn,
Mariane, und wenn dich alle Welt mir rauben
wollte! Jch will mir ſchon helfen! — Mich ei-
nen gottsvergeſſenen Menſchen nennen! Gott!
du weiſt, wie ichs redlich meyne! — Er lief noch
lang auf und ab, ohne etwas deutliches zu denken.
Endlich, als die erſte Heftigkeit vorbey war, ſtie-
gen ihm doch allerley Zweifel auf, wie er ſich in
dieſer Sache helfen wollte? Er hatte ſich um das
Vermoͤgen ſeines Vaters nie bekuͤmmert, und wußte
alſo nicht, wie viel ihn auf ſeinen Antheil treffen,
und ob er damit die Koſten zu ſeinem Studie-
ren werde beſtreiten koͤnnen? Keine ausdruͤck-
liche Erklaͤrung ſeines Vaters war da, und eine
gerichtliche Behandlung der Sache ſcheute er auch.
Er verlohr ſich alſo in einem Labyrinth von Sorgen
und Bedenklichkeiten. Er mochte hin und her ſin-
nen, wie er wollte, er fand keinen Ausweg. End-
lich ſtuͤrzten ihm Thraͤnen von den Augen; er ſah
gen Himmel, und konnte nichts ſagen, als: Gott!
Gott! —

Salome kam zu ihm, und ſagte: Sie muͤßten
heut bey ihrem Bruder eſſen, weil ſies geſtern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0465" n="885"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;tieß ungeduldige Reden aus. Gottlob! &#x017F;agte er,<lb/>
daß ich &#x017F;olche Kerls verachten kann, und kein &#x017F;o<lb/>
niedertra&#x0364;chtiges Herz habe! Du &#x017F;oll&#x017F;t mein &#x017F;eyn,<lb/>
Mariane, und wenn dich alle Welt mir rauben<lb/>
wollte! Jch will mir &#x017F;chon helfen! &#x2014; Mich ei-<lb/>
nen gottsverge&#x017F;&#x017F;enen Men&#x017F;chen nennen! Gott!<lb/>
du wei&#x017F;t, wie ichs redlich meyne! &#x2014; Er lief noch<lb/>
lang auf und ab, ohne etwas deutliches zu denken.<lb/>
Endlich, als die er&#x017F;te Heftigkeit vorbey war, &#x017F;tie-<lb/>
gen ihm doch allerley Zweifel auf, wie er &#x017F;ich in<lb/>
die&#x017F;er Sache helfen wollte? Er hatte &#x017F;ich um das<lb/>
Vermo&#x0364;gen &#x017F;eines Vaters nie beku&#x0364;mmert, und wußte<lb/>
al&#x017F;o nicht, wie viel ihn auf &#x017F;einen Antheil treffen,<lb/>
und ob er damit die Ko&#x017F;ten zu &#x017F;einem Studie-<lb/>
ren werde be&#x017F;treiten ko&#x0364;nnen? Keine ausdru&#x0364;ck-<lb/>
liche Erkla&#x0364;rung &#x017F;eines Vaters war da, und eine<lb/>
gerichtliche Behandlung der Sache &#x017F;cheute er auch.<lb/>
Er verlohr &#x017F;ich al&#x017F;o in einem Labyrinth von Sorgen<lb/>
und Bedenklichkeiten. Er mochte hin und her &#x017F;in-<lb/>
nen, wie er wollte, er fand keinen Ausweg. End-<lb/>
lich &#x017F;tu&#x0364;rzten ihm Thra&#x0364;nen von den Augen; er &#x017F;ah<lb/>
gen Himmel, und konnte nichts &#x017F;agen, als: Gott!<lb/>
Gott! &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Salome</hi> kam zu ihm, und &#x017F;agte: Sie mu&#x0364;ßten<lb/>
heut bey ihrem Bruder e&#x017F;&#x017F;en, weil &#x017F;ies ge&#x017F;tern<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[885/0465] ſtieß ungeduldige Reden aus. Gottlob! ſagte er, daß ich ſolche Kerls verachten kann, und kein ſo niedertraͤchtiges Herz habe! Du ſollſt mein ſeyn, Mariane, und wenn dich alle Welt mir rauben wollte! Jch will mir ſchon helfen! — Mich ei- nen gottsvergeſſenen Menſchen nennen! Gott! du weiſt, wie ichs redlich meyne! — Er lief noch lang auf und ab, ohne etwas deutliches zu denken. Endlich, als die erſte Heftigkeit vorbey war, ſtie- gen ihm doch allerley Zweifel auf, wie er ſich in dieſer Sache helfen wollte? Er hatte ſich um das Vermoͤgen ſeines Vaters nie bekuͤmmert, und wußte alſo nicht, wie viel ihn auf ſeinen Antheil treffen, und ob er damit die Koſten zu ſeinem Studie- ren werde beſtreiten koͤnnen? Keine ausdruͤck- liche Erklaͤrung ſeines Vaters war da, und eine gerichtliche Behandlung der Sache ſcheute er auch. Er verlohr ſich alſo in einem Labyrinth von Sorgen und Bedenklichkeiten. Er mochte hin und her ſin- nen, wie er wollte, er fand keinen Ausweg. End- lich ſtuͤrzten ihm Thraͤnen von den Augen; er ſah gen Himmel, und konnte nichts ſagen, als: Gott! Gott! — Salome kam zu ihm, und ſagte: Sie muͤßten heut bey ihrem Bruder eſſen, weil ſies geſtern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/465
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 885. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/465>, abgerufen am 24.11.2024.