daß eine solche Kleinigkeit an seinem Unglück Schuld haben sollte. P. Philipp suchte ihn auf alle mög- liche Weise zu zerstreuen; aber es half wenig. Er nahm ihn oft, mitten im Winter, mit spatzieren. Das traurige Stillschweigen der Natur nährte nur seine Traurigkeit. Er las in seinen Büchern nichts, als düstre, wehmüthige Stellen. Die Musik er- götzte ihn auch nicht mehr. Nur zuweilen phanta- sirte er in lauter Dissonanzen und wimmernden Tönen. Die Einsamkeit war ihm das liebste, und sie lobte er allein. Oft pries er unsern Siegwart wegen des Entschlusses selig, die Welt zu verlassen, und sich in ein Kloster zu verschliessen. Das war gewiß ein weiser und unglücklicher Mann, sagte er, der wie ich geliebt hat, der zuerst den Einfall hatte, in eine Einsiedeley zu ziehen, oder sich durch Mau- ren vom unseligen Menschengeschlecht abzusondern. Man muß aufhören, ein Mensch zu seyn, wenn man glücklich werden will! Jch wollte, daß ich alle meine Leiden mit dir in einer Zelle vergraben könnte!
Diese Reden, und das ganze Schicksal seines Freundes machte bey unserm Siegwart den Gedan- ken ans Klosterleben aufs neue wieder zum allein- herrschenden und angenehmsten. Er sah die Liebe
daß eine ſolche Kleinigkeit an ſeinem Ungluͤck Schuld haben ſollte. P. Philipp ſuchte ihn auf alle moͤg- liche Weiſe zu zerſtreuen; aber es half wenig. Er nahm ihn oft, mitten im Winter, mit ſpatzieren. Das traurige Stillſchweigen der Natur naͤhrte nur ſeine Traurigkeit. Er las in ſeinen Buͤchern nichts, als duͤſtre, wehmuͤthige Stellen. Die Muſik er- goͤtzte ihn auch nicht mehr. Nur zuweilen phanta- ſirte er in lauter Diſſonanzen und wimmernden Toͤnen. Die Einſamkeit war ihm das liebſte, und ſie lobte er allein. Oft pries er unſern Siegwart wegen des Entſchluſſes ſelig, die Welt zu verlaſſen, und ſich in ein Kloſter zu verſchlieſſen. Das war gewiß ein weiſer und ungluͤcklicher Mann, ſagte er, der wie ich geliebt hat, der zuerſt den Einfall hatte, in eine Einſiedeley zu ziehen, oder ſich durch Mau- ren vom unſeligen Menſchengeſchlecht abzuſondern. Man muß aufhoͤren, ein Menſch zu ſeyn, wenn man gluͤcklich werden will! Jch wollte, daß ich alle meine Leiden mit dir in einer Zelle vergraben koͤnnte!
Dieſe Reden, und das ganze Schickſal ſeines Freundes machte bey unſerm Siegwart den Gedan- ken ans Kloſterleben aufs neue wieder zum allein- herrſchenden und angenehmſten. Er ſah die Liebe
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daß eine ſolche Kleinigkeit an ſeinem Ungluͤck Schuld
haben ſollte. P. Philipp ſuchte ihn auf alle moͤg-
liche Weiſe zu zerſtreuen; aber es half wenig. Er
nahm ihn oft, mitten im Winter, mit ſpatzieren.
Das traurige Stillſchweigen der Natur naͤhrte nur
ſeine Traurigkeit. Er las in ſeinen Buͤchern nichts,
als duͤſtre, wehmuͤthige Stellen. Die Muſik er-
goͤtzte ihn auch nicht mehr. Nur zuweilen phanta-
ſirte er in lauter Diſſonanzen und wimmernden
Toͤnen. Die Einſamkeit war ihm das liebſte, und
ſie lobte er allein. Oft pries er unſern Siegwart
wegen des Entſchluſſes ſelig, die Welt zu verlaſſen,
und ſich in ein Kloſter zu verſchlieſſen. Das war
gewiß ein weiſer und ungluͤcklicher Mann, ſagte er,
der wie ich geliebt hat, der zuerſt den Einfall hatte,
in eine Einſiedeley zu ziehen, oder ſich durch Mau-
ren vom unſeligen Menſchengeſchlecht abzuſondern.
Man muß aufhoͤren, ein Menſch zu ſeyn, wenn
man gluͤcklich werden will! Jch wollte, daß ich alle
meine Leiden mit dir in einer Zelle vergraben
koͤnnte!
Dieſe Reden, und das ganze Schickſal ſeines
Freundes machte bey unſerm Siegwart den Gedan-
ken ans Kloſterleben aufs neue wieder zum allein-
herrſchenden und angenehmſten. Er ſah die Liebe
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/50>, abgerufen am 03.12.2024.
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