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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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nichts! Endlich hörte man vor dem Dorf draussen
einen Wagen stark rasseln, und ein lautes Juch-
zen. Gottlob! nun kommt er, sagte sie. Er fuhr
in vollem Gallop ins Dorf herein. Wo bist du
doch so lang, Kaspar? sagte sie. Ey was, Narr!
sagte er, sprang vom Pferd, und schloß sie in den
Arm; ich hab einen guten Kauf gethan. Heh,
lustig, Herr! Hier hab ich ihm was! Jndem
zog er zwo Bouteillen Wein aus dem Zwerchsack.
Komm er! nun wollen wir die Grillen verjagen!
Siegwart mochte sich so sehr weigern, als er wollte;
er muste noch eine Bouteille mit dem betrunkenen
Bauren trinken, und konnt ihn kaum abhalten,
die andre nicht auch noch anzubrechen. Er er-
zählte ihm auf die verwirrteste Art allerley Geschich-
ten aus der Stadt, und gieng endlich so betrunken
zu Bette, daß er kaum allein gehen konnte.

Den andern Morgen gieng jedermann aus dem
Haus, bis auf die Kinder in die Messe. Sieg-
wart stand auf, und fühlte sich fast ganz wieder
hergestellt. Aber sein Gemüth war krank, und im
Jnnersten verwundet. Er setzte sich, und schrieb
mit vieler Rührung seine Empfindungen, die voll
Andacht und voll tiefer Schwermuth waren, in
sein Taschenbuch. Während daß er schrieb, krab-



nichts! Endlich hoͤrte man vor dem Dorf drauſſen
einen Wagen ſtark raſſeln, und ein lautes Juch-
zen. Gottlob! nun kommt er, ſagte ſie. Er fuhr
in vollem Gallop ins Dorf herein. Wo biſt du
doch ſo lang, Kaspar? ſagte ſie. Ey was, Narr!
ſagte er, ſprang vom Pferd, und ſchloß ſie in den
Arm; ich hab einen guten Kauf gethan. Heh,
luſtig, Herr! Hier hab ich ihm was! Jndem
zog er zwo Bouteillen Wein aus dem Zwerchſack.
Komm er! nun wollen wir die Grillen verjagen!
Siegwart mochte ſich ſo ſehr weigern, als er wollte;
er muſte noch eine Bouteille mit dem betrunkenen
Bauren trinken, und konnt ihn kaum abhalten,
die andre nicht auch noch anzubrechen. Er er-
zaͤhlte ihm auf die verwirrteſte Art allerley Geſchich-
ten aus der Stadt, und gieng endlich ſo betrunken
zu Bette, daß er kaum allein gehen konnte.

Den andern Morgen gieng jedermann aus dem
Haus, bis auf die Kinder in die Meſſe. Sieg-
wart ſtand auf, und fuͤhlte ſich faſt ganz wieder
hergeſtellt. Aber ſein Gemuͤth war krank, und im
Jnnerſten verwundet. Er ſetzte ſich, und ſchrieb
mit vieler Ruͤhrung ſeine Empfindungen, die voll
Andacht und voll tiefer Schwermuth waren, in
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[934/0514] nichts! Endlich hoͤrte man vor dem Dorf drauſſen einen Wagen ſtark raſſeln, und ein lautes Juch- zen. Gottlob! nun kommt er, ſagte ſie. Er fuhr in vollem Gallop ins Dorf herein. Wo biſt du doch ſo lang, Kaspar? ſagte ſie. Ey was, Narr! ſagte er, ſprang vom Pferd, und ſchloß ſie in den Arm; ich hab einen guten Kauf gethan. Heh, luſtig, Herr! Hier hab ich ihm was! Jndem zog er zwo Bouteillen Wein aus dem Zwerchſack. Komm er! nun wollen wir die Grillen verjagen! Siegwart mochte ſich ſo ſehr weigern, als er wollte; er muſte noch eine Bouteille mit dem betrunkenen Bauren trinken, und konnt ihn kaum abhalten, die andre nicht auch noch anzubrechen. Er er- zaͤhlte ihm auf die verwirrteſte Art allerley Geſchich- ten aus der Stadt, und gieng endlich ſo betrunken zu Bette, daß er kaum allein gehen konnte. Den andern Morgen gieng jedermann aus dem Haus, bis auf die Kinder in die Meſſe. Sieg- wart ſtand auf, und fuͤhlte ſich faſt ganz wieder hergeſtellt. Aber ſein Gemuͤth war krank, und im Jnnerſten verwundet. Er ſetzte ſich, und ſchrieb mit vieler Ruͤhrung ſeine Empfindungen, die voll Andacht und voll tiefer Schwermuth waren, in ſein Taſchenbuch. Waͤhrend daß er ſchrieb, krab-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 934. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/514>, abgerufen am 25.11.2024.