bestürzt war. Sie kommen wol von einer Universität her? -- Ja, von Jngolstadt, war Siegwarts Antwort. -- Beyde schwiegen nun eine Zeitlang still, und schienen in tiefe Wehmuth zu versinken. Sieg- wart betrachtete zuweilen den Einsiedler seitwärts, und bemerkte tiefe Züge der Schwermuth in sei- nem Gesicht eingegraben. Je gewisser er überzeugt ward, daß er ein Unglücklicher seyn müsse, desto mehr Zuneigung fühlte er bey sich gegen ihn; desto mehr wünschte er, sein Herz vor ihm ausschütten zu können. Aber eine gewisse ehrerbietige Schüchternheit hielt ihn zurück, wenn er oft schon den Mund öffnen, und ihm seine Geschichte entdecken wollte. Sie leben wohl, fieng er endlich an, an diesem stillen einsamen Aufenthalt recht ruhig |und zufrie- den?
Einsiedler. Was der Ort dazu beytragen kann, das thut er, wenns nicht innre Stürme gibt.
Siegwart. Freylich kommts allein auf unser Herz, und nicht aufs Aeußre an, ob man ruhig und zufrieden lebt! Aber ich denke doch, je weiter man von Menschen lebt, desto mehr innre Ruhe hat man.
Einsiedler. Recht, mein Lieber! Es scheint, wir haben einerley Grundsätze. Aber es gibt auch
beſtuͤrzt war. Sie kommen wol von einer Univerſitaͤt her? — Ja, von Jngolſtadt, war Siegwarts Antwort. — Beyde ſchwiegen nun eine Zeitlang ſtill, und ſchienen in tiefe Wehmuth zu verſinken. Sieg- wart betrachtete zuweilen den Einſiedler ſeitwaͤrts, und bemerkte tiefe Zuͤge der Schwermuth in ſei- nem Geſicht eingegraben. Je gewiſſer er uͤberzeugt ward, daß er ein Ungluͤcklicher ſeyn muͤſſe, deſto mehr Zuneigung fuͤhlte er bey ſich gegen ihn; deſto mehr wuͤnſchte er, ſein Herz vor ihm ausſchuͤtten zu koͤnnen. Aber eine gewiſſe ehrerbietige Schuͤchternheit hielt ihn zuruͤck, wenn er oft ſchon den Mund oͤffnen, und ihm ſeine Geſchichte entdecken wollte. Sie leben wohl, fieng er endlich an, an dieſem ſtillen einſamen Aufenthalt recht ruhig |und zufrie- den?
Einſiedler. Was der Ort dazu beytragen kann, das thut er, wenns nicht innre Stuͤrme gibt.
Siegwart. Freylich kommts allein auf unſer Herz, und nicht aufs Aeußre an, ob man ruhig und zufrieden lebt! Aber ich denke doch, je weiter man von Menſchen lebt, deſto mehr innre Ruhe hat man.
Einſiedler. Recht, mein Lieber! Es ſcheint, wir haben einerley Grundſaͤtze. Aber es gibt auch
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beſtuͤrzt war. Sie kommen wol von einer Univerſitaͤt
her? — Ja, von Jngolſtadt, war Siegwarts
Antwort. — Beyde ſchwiegen nun eine Zeitlang ſtill,
und ſchienen in tiefe Wehmuth zu verſinken. Sieg-
wart betrachtete zuweilen den Einſiedler ſeitwaͤrts,
und bemerkte tiefe Zuͤge der Schwermuth in ſei-
nem Geſicht eingegraben. Je gewiſſer er uͤberzeugt
ward, daß er ein Ungluͤcklicher ſeyn muͤſſe, deſto
mehr Zuneigung fuͤhlte er bey ſich gegen ihn; deſto
mehr wuͤnſchte er, ſein Herz vor ihm ausſchuͤtten zu
koͤnnen. Aber eine gewiſſe ehrerbietige Schuͤchternheit
hielt ihn zuruͤck, wenn er oft ſchon den Mund
oͤffnen, und ihm ſeine Geſchichte entdecken wollte.
Sie leben wohl, fieng er endlich an, an dieſem
ſtillen einſamen Aufenthalt recht ruhig |und zufrie-
den?
Einſiedler. Was der Ort dazu beytragen kann,
das thut er, wenns nicht innre Stuͤrme gibt.
Siegwart. Freylich kommts allein auf unſer Herz,
und nicht aufs Aeußre an, ob man ruhig und
zufrieden lebt! Aber ich denke doch, je weiter man
von Menſchen lebt, deſto mehr innre Ruhe hat
man.
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 944. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/524>, abgerufen am 26.11.2024.
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