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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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von fern nach den verschiednen Klosterfrauen. Bri-
gitte machte ihm eine allgemeine. Beschreibung da-
von, und sagte, zu seinem grösten Misvergnügen,
gerade von seiner Mariane am wenigsten, ausser,
daß sie immer sehr blaß ausseh, und unaufhörlich
traurig sey. Weil ers noch nicht für rathsam an-
sah, sich Brigitten anzuvertrauen, so schrieb er ein
paarmal an Marianen, legte den Brief an einen
Ort, wo ihn Rothfels, dem der Ort bezeichnet
war, entweder selber abholte, oder durch einen al-
ten Bedienten abholen ließ, und ihn so, durch
Pater Klemens Hand, Marianen zuschickte. Sie
wußte nun, daß ihr Geliebter ihr so nah, und als
Gärtner im Kloster sey; aber sie fand doch keine
Gelegenheit ihn allein zu sehen, oder gar zu spre-
chen, weil man auf sie sehr genau Acht gab, und
ihr, welches Siegwart nicht wußte, Brigitten noch
besonders zur Aufseherin bestellt hatte.

Einmal kamen die Nonnen, an einem sehr hei-
tern Herbsttage, nach dem Mittagsessen mit ihrer
Aebtissin in den Garten, als Siegwart eben
hinter der Hecke stand, und die losgerißnen Zweige
wieder an den Stangen fest machte. Er hatte sie
noch nicht wahrgenommen, und sang bey der Ar-
beit sein Gärtnerlied, das| er einst an einem trau-



von fern nach den verſchiednen Kloſterfrauen. Bri-
gitte machte ihm eine allgemeine. Beſchreibung da-
von, und ſagte, zu ſeinem groͤſten Misvergnuͤgen,
gerade von ſeiner Mariane am wenigſten, auſſer,
daß ſie immer ſehr blaß ausſeh, und unaufhoͤrlich
traurig ſey. Weil ers noch nicht fuͤr rathſam an-
ſah, ſich Brigitten anzuvertrauen, ſo ſchrieb er ein
paarmal an Marianen, legte den Brief an einen
Ort, wo ihn Rothfels, dem der Ort bezeichnet
war, entweder ſelber abholte, oder durch einen al-
ten Bedienten abholen ließ, und ihn ſo, durch
Pater Klemens Hand, Marianen zuſchickte. Sie
wußte nun, daß ihr Geliebter ihr ſo nah, und als
Gaͤrtner im Kloſter ſey; aber ſie fand doch keine
Gelegenheit ihn allein zu ſehen, oder gar zu ſpre-
chen, weil man auf ſie ſehr genau Acht gab, und
ihr, welches Siegwart nicht wußte, Brigitten noch
beſonders zur Aufſeherin beſtellt hatte.

Einmal kamen die Nonnen, an einem ſehr hei-
tern Herbſttage, nach dem Mittagseſſen mit ihrer
Aebtiſſin in den Garten, als Siegwart eben
hinter der Hecke ſtand, und die losgerißnen Zweige
wieder an den Stangen feſt machte. Er hatte ſie
noch nicht wahrgenommen, und ſang bey der Ar-
beit ſein Gaͤrtnerlied, das| er einſt an einem trau-

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[1003/0583] von fern nach den verſchiednen Kloſterfrauen. Bri- gitte machte ihm eine allgemeine. Beſchreibung da- von, und ſagte, zu ſeinem groͤſten Misvergnuͤgen, gerade von ſeiner Mariane am wenigſten, auſſer, daß ſie immer ſehr blaß ausſeh, und unaufhoͤrlich traurig ſey. Weil ers noch nicht fuͤr rathſam an- ſah, ſich Brigitten anzuvertrauen, ſo ſchrieb er ein paarmal an Marianen, legte den Brief an einen Ort, wo ihn Rothfels, dem der Ort bezeichnet war, entweder ſelber abholte, oder durch einen al- ten Bedienten abholen ließ, und ihn ſo, durch Pater Klemens Hand, Marianen zuſchickte. Sie wußte nun, daß ihr Geliebter ihr ſo nah, und als Gaͤrtner im Kloſter ſey; aber ſie fand doch keine Gelegenheit ihn allein zu ſehen, oder gar zu ſpre- chen, weil man auf ſie ſehr genau Acht gab, und ihr, welches Siegwart nicht wußte, Brigitten noch beſonders zur Aufſeherin beſtellt hatte. Einmal kamen die Nonnen, an einem ſehr hei- tern Herbſttage, nach dem Mittagseſſen mit ihrer Aebtiſſin in den Garten, als Siegwart eben hinter der Hecke ſtand, und die losgerißnen Zweige wieder an den Stangen feſt machte. Er hatte ſie noch nicht wahrgenommen, und ſang bey der Ar- beit ſein Gaͤrtnerlied, das| er einſt an einem trau-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1003. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/583>, abgerufen am 21.11.2024.