ver! so viel als möglich, vor dem Umgang mit Frauenzimmern! Man muß vorher Vorsicht ge- brauchen. Wenn man schon zu lieben anfängt, dann ist alle Flucht zu spät. Hüt er sich, da er, nach seiner Bestimmung, nie glücklich lieben kann und darf!
Siegwart gieng auch wirklich deswegen weniger zu Grünbach, weil Sophie allemal aufs Zimmer kam, wenn er da war. Doch glaubte er, hier, von seiner Seite sicher genug zu seyn, denn er fühlte keine Neigung zu dem Mädchen, ob er sie gleich ihrer sittsamen Bescheidenheit, und ihrer tiefen, richtigen Empfindung wegen, sehr hochschätzte. Die Einsamkeit, so sehr er sie auch liebte, war ihm doch zuweilen unerträglich, weil sie ihn oft gar zu leb- haft und zu traurig an seinen Kronhelm erinner- te; und die Liebe zur Musik, die er jetzt allein we- nig treiben konnte, rief ihn manchen Abend zu Grün- bach. Sophie saß oft ganze Stunden lang in einem Winkel da, hörte ihnen zu, und ward im Jnnersten bewegt. Siegwart schrieb das der Musik zu, was die Liebe bey ihr that. Doch war sie dabey so ängstlich und zurückhaltend, daß sie ihm nie einen deutlichen und redenden Beweis ihrer Liebe gab. Sie litt in der Stille, verzehrte sich in sich selbst,
ver! ſo viel als moͤglich, vor dem Umgang mit Frauenzimmern! Man muß vorher Vorſicht ge- brauchen. Wenn man ſchon zu lieben anfaͤngt, dann iſt alle Flucht zu ſpaͤt. Huͤt er ſich, da er, nach ſeiner Beſtimmung, nie gluͤcklich lieben kann und darf!
Siegwart gieng auch wirklich deswegen weniger zu Gruͤnbach, weil Sophie allemal aufs Zimmer kam, wenn er da war. Doch glaubte er, hier, von ſeiner Seite ſicher genug zu ſeyn, denn er fuͤhlte keine Neigung zu dem Maͤdchen, ob er ſie gleich ihrer ſittſamen Beſcheidenheit, und ihrer tiefen, richtigen Empfindung wegen, ſehr hochſchaͤtzte. Die Einſamkeit, ſo ſehr er ſie auch liebte, war ihm doch zuweilen unertraͤglich, weil ſie ihn oft gar zu leb- haft und zu traurig an ſeinen Kronhelm erinner- te; und die Liebe zur Muſik, die er jetzt allein we- nig treiben konnte, rief ihn manchen Abend zu Gruͤn- bach. Sophie ſaß oft ganze Stunden lang in einem Winkel da, hoͤrte ihnen zu, und ward im Jnnerſten bewegt. Siegwart ſchrieb das der Muſik zu, was die Liebe bey ihr that. Doch war ſie dabey ſo aͤngſtlich und zuruͤckhaltend, daß ſie ihm nie einen deutlichen und redenden Beweis ihrer Liebe gab. Sie litt in der Stille, verzehrte ſich in ſich ſelbſt,
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ver! ſo viel als moͤglich, vor dem Umgang mit
Frauenzimmern! Man muß vorher Vorſicht ge-
brauchen. Wenn man ſchon zu lieben anfaͤngt,
dann iſt alle Flucht zu ſpaͤt. Huͤt er ſich, da er,
nach ſeiner Beſtimmung, nie gluͤcklich lieben kann
und darf!
Siegwart gieng auch wirklich deswegen weniger
zu Gruͤnbach, weil Sophie allemal aufs Zimmer
kam, wenn er da war. Doch glaubte er, hier, von
ſeiner Seite ſicher genug zu ſeyn, denn er fuͤhlte
keine Neigung zu dem Maͤdchen, ob er ſie gleich
ihrer ſittſamen Beſcheidenheit, und ihrer tiefen,
richtigen Empfindung wegen, ſehr hochſchaͤtzte. Die
Einſamkeit, ſo ſehr er ſie auch liebte, war ihm doch
zuweilen unertraͤglich, weil ſie ihn oft gar zu leb-
haft und zu traurig an ſeinen Kronhelm erinner-
te; und die Liebe zur Muſik, die er jetzt allein we-
nig treiben konnte, rief ihn manchen Abend zu Gruͤn-
bach. Sophie ſaß oft ganze Stunden lang in einem
Winkel da, hoͤrte ihnen zu, und ward im Jnnerſten
bewegt. Siegwart ſchrieb das der Muſik zu, was
die Liebe bey ihr that. Doch war ſie dabey ſo
aͤngſtlich und zuruͤckhaltend, daß ſie ihm nie einen
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/63>, abgerufen am 21.11.2024.
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