thun sollte, und oft den dunkeln Gedanken bey sich spürte, zu den Protestanten überzugehen. Aber theils kannte er die Lehrsätze dieser Kirche nicht genug, theils hielt ers auch nach seinen Begriffen für strafbar, die väterliche Lehre, in der er ge- bohren und erzogen war, abzuschwören, und un- ter seinen Brüdern ein Aergernis zu stiften, da er ohnedies nur noch eine kurze Zeit, die er zu leben hatte, vor sich sah. Er wagte es auch nicht, seine Zweifel irgend einem Menschen, auch nicht einmal seinem lieben P. Anton vorzutra- gen.
Sonst aber war er viel bey diesem theuren Mann, der alles auf ihn hielt, und ihn durch seine Freundschaft soviel aufzuheitern suchte, als möglich. Diese Achtung, die der Guardian ihm, als einem noch so jungen Pater erwies, lud ihm den Neid und Haß fast aller andern Paters auf den Hals. Sie stichelten auf ihn bey aller Ge- legenheit; sie sassen oft beysammen und machten allerley Kabalen gegen ihn; andre schmeichelten ihm, und glaubten durch seinen Fürspruch die Gunst des Guardian zu gewinnen; heimlich wa- ren sie aber doch seine Feinde, und machten ihm hinterrücks tausenderley Verdruß. Siegwart merk-
thun ſollte, und oft den dunkeln Gedanken bey ſich ſpuͤrte, zu den Proteſtanten uͤberzugehen. Aber theils kannte er die Lehrſaͤtze dieſer Kirche nicht genug, theils hielt ers auch nach ſeinen Begriffen fuͤr ſtrafbar, die vaͤterliche Lehre, in der er ge- bohren und erzogen war, abzuſchwoͤren, und un- ter ſeinen Bruͤdern ein Aergernis zu ſtiften, da er ohnedies nur noch eine kurze Zeit, die er zu leben hatte, vor ſich ſah. Er wagte es auch nicht, ſeine Zweifel irgend einem Menſchen, auch nicht einmal ſeinem lieben P. Anton vorzutra- gen.
Sonſt aber war er viel bey dieſem theuren Mann, der alles auf ihn hielt, und ihn durch ſeine Freundſchaft ſoviel aufzuheitern ſuchte, als moͤglich. Dieſe Achtung, die der Guardian ihm, als einem noch ſo jungen Pater erwies, lud ihm den Neid und Haß faſt aller andern Paters auf den Hals. Sie ſtichelten auf ihn bey aller Ge- legenheit; ſie ſaſſen oft beyſammen und machten allerley Kabalen gegen ihn; andre ſchmeichelten ihm, und glaubten durch ſeinen Fuͤrſpruch die Gunſt des Guardian zu gewinnen; heimlich wa- ren ſie aber doch ſeine Feinde, und machten ihm hinterruͤcks tauſenderley Verdruß. Siegwart merk-
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thun ſollte, und oft den dunkeln Gedanken bey ſich
ſpuͤrte, zu den Proteſtanten uͤberzugehen. Aber
theils kannte er die Lehrſaͤtze dieſer Kirche nicht
genug, theils hielt ers auch nach ſeinen Begriffen
fuͤr ſtrafbar, die vaͤterliche Lehre, in der er ge-
bohren und erzogen war, abzuſchwoͤren, und un-
ter ſeinen Bruͤdern ein Aergernis zu ſtiften, da
er ohnedies nur noch eine kurze Zeit, die er zu
leben hatte, vor ſich ſah. Er wagte es auch
nicht, ſeine Zweifel irgend einem Menſchen, auch
nicht einmal ſeinem lieben P. Anton vorzutra-
gen.
Sonſt aber war er viel bey dieſem theuren
Mann, der alles auf ihn hielt, und ihn durch
ſeine Freundſchaft ſoviel aufzuheitern ſuchte, als
moͤglich. Dieſe Achtung, die der Guardian ihm,
als einem noch ſo jungen Pater erwies, lud ihm
den Neid und Haß faſt aller andern Paters auf
den Hals. Sie ſtichelten auf ihn bey aller Ge-
legenheit; ſie ſaſſen oft beyſammen und machten
allerley Kabalen gegen ihn; andre ſchmeichelten
ihm, und glaubten durch ſeinen Fuͤrſpruch die
Gunſt des Guardian zu gewinnen; heimlich wa-
ren ſie aber doch ſeine Feinde, und machten ihm
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1054. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/634>, abgerufen am 24.11.2024.
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