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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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ten sich also in ein anliegendes Zimmer, wo sie
alle Bewegungen zu hören hoften. Siegwart schlief
bis gegen eilf Uhr aneinander fort. Therese war
ein paarmal leise ins Zimmer gekommen, um nach
ihm zu sehen. Als sie fand, daß er immer noch
sehr fest schlief, so gieng sie wieder auf ihr Zimmer,
setzte sich in einen Lehnstuhl, und schlief endlich,
weil sie von dem vielen Wachen, und dem tiefen
Schmerz äusserst abgemattet war, ein.

Um eilf Uhr wachte Siegwart von einem sehr
lebhaften Traum, indem ihm seine Mariane er-
schienen war, und ihm zuwinkte, auf. Sein Blut
war in starker Wallung. Er fühlte sich von dem
langen Schlaf gestärkt. Seine Phantasie war von
dem Traume, und dem schnellen Umlauf des Ge-
blüts stark erhitzt. Er stand auf, und gieng ans Fen-
ster. Der Mond, der durch dünne Wölckchen halb
düster schien, warf etlich blasse Strahlen an das Kreuz
auf Marianens Grab. Es schossen ihm Thränen
in die Augen, und ein unwiderstehlicher Zug trieb
ihn, auf das Grab zu gehen. Er gieng, mit dem
Kranz am Arm, an die Thüre, machte sie leise
auf, gieng durch den Kreuzgang, und suchte einen
Ausgang nach dem Gottesacker. Zu gutem Glück
fand er eine Thüre dahin; hastig lief er aufs Grab,



ten ſich alſo in ein anliegendes Zimmer, wo ſie
alle Bewegungen zu hoͤren hoften. Siegwart ſchlief
bis gegen eilf Uhr aneinander fort. Thereſe war
ein paarmal leiſe ins Zimmer gekommen, um nach
ihm zu ſehen. Als ſie fand, daß er immer noch
ſehr feſt ſchlief, ſo gieng ſie wieder auf ihr Zimmer,
ſetzte ſich in einen Lehnſtuhl, und ſchlief endlich,
weil ſie von dem vielen Wachen, und dem tiefen
Schmerz aͤuſſerſt abgemattet war, ein.

Um eilf Uhr wachte Siegwart von einem ſehr
lebhaften Traum, indem ihm ſeine Mariane er-
ſchienen war, und ihm zuwinkte, auf. Sein Blut
war in ſtarker Wallung. Er fuͤhlte ſich von dem
langen Schlaf geſtaͤrkt. Seine Phantaſie war von
dem Traume, und dem ſchnellen Umlauf des Ge-
bluͤts ſtark erhitzt. Er ſtand auf, und gieng ans Fen-
ſter. Der Mond, der durch duͤnne Woͤlckchen halb
duͤſter ſchien, warf etlich blaſſe Strahlen an das Kreuz
auf Marianens Grab. Es ſchoſſen ihm Thraͤnen
in die Augen, und ein unwiderſtehlicher Zug trieb
ihn, auf das Grab zu gehen. Er gieng, mit dem
Kranz am Arm, an die Thuͤre, machte ſie leiſe
auf, gieng durch den Kreuzgang, und ſuchte einen
Ausgang nach dem Gottesacker. Zu gutem Gluͤck
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[1070/0650] ten ſich alſo in ein anliegendes Zimmer, wo ſie alle Bewegungen zu hoͤren hoften. Siegwart ſchlief bis gegen eilf Uhr aneinander fort. Thereſe war ein paarmal leiſe ins Zimmer gekommen, um nach ihm zu ſehen. Als ſie fand, daß er immer noch ſehr feſt ſchlief, ſo gieng ſie wieder auf ihr Zimmer, ſetzte ſich in einen Lehnſtuhl, und ſchlief endlich, weil ſie von dem vielen Wachen, und dem tiefen Schmerz aͤuſſerſt abgemattet war, ein. Um eilf Uhr wachte Siegwart von einem ſehr lebhaften Traum, indem ihm ſeine Mariane er- ſchienen war, und ihm zuwinkte, auf. Sein Blut war in ſtarker Wallung. Er fuͤhlte ſich von dem langen Schlaf geſtaͤrkt. Seine Phantaſie war von dem Traume, und dem ſchnellen Umlauf des Ge- bluͤts ſtark erhitzt. Er ſtand auf, und gieng ans Fen- ſter. Der Mond, der durch duͤnne Woͤlckchen halb duͤſter ſchien, warf etlich blaſſe Strahlen an das Kreuz auf Marianens Grab. Es ſchoſſen ihm Thraͤnen in die Augen, und ein unwiderſtehlicher Zug trieb ihn, auf das Grab zu gehen. Er gieng, mit dem Kranz am Arm, an die Thuͤre, machte ſie leiſe auf, gieng durch den Kreuzgang, und ſuchte einen Ausgang nach dem Gottesacker. Zu gutem Gluͤck fand er eine Thuͤre dahin; haſtig lief er aufs Grab,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1070. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/650>, abgerufen am 24.11.2024.