Wird für sie auch Trost haben. Wir wollen für sie beten... Ach, ich weis, wies mir gieng! Jch war in Freyburg, als mein Vater starb; wir waren sieben Waisen. -- Aber Gott hat keins von uns verlassen; keins! und mich am wenigsten... Faß er sich, mein lieber Siegwart! Vielleicht hilft Gott noch... Hoff ers zu dem Vater aller Waisen! --
Sie kehrten nun wieder nach der Stadt zurück. Siegwart sprach wenig, und schluchzte nur zuweilen. Der Betteljunge stand wieder am Wege. Da hast du noch was, sagte Siegwart, und gab ihm einen Sechsbätzner. Jn der Stadt lief er sogleich zum Arzt, um sich nach seines Vaters Umständen zu er- kundigen. Der Arzt zuckte die Achseln. Es ist so so, sagte er. Jch ward aus dem Haus ihres Vaters auf ein andres Dorf geholt zu einem Predi- ger, und konnte die Krisin nicht abwarten. Wir müssen sehen. Uebermorgen komm ich wieder hin- aus. O lieber Herr Doktor, sagte Siegwart, Mor- gen! Jch bitte Sie bey allem, was heilig ist, reiten Sie doch Morgen hinaus! Thun Sie, was sie können! Retten Sie, retten Sie meinen Vater! Der Doktor machte Entschuldigungen, daß er Morgen viel zu thun habe; versprach aber doch, gegen Abend hinaus zu rei-
K k
Wird fuͤr ſie auch Troſt haben. Wir wollen fuͤr ſie beten… Ach, ich weis, wies mir gieng! Jch war in Freyburg, als mein Vater ſtarb; wir waren ſieben Waiſen. — Aber Gott hat keins von uns verlaſſen; keins! und mich am wenigſten… Faß er ſich, mein lieber Siegwart! Vielleicht hilft Gott noch… Hoff ers zu dem Vater aller Waiſen! —
Sie kehrten nun wieder nach der Stadt zuruͤck. Siegwart ſprach wenig, und ſchluchzte nur zuweilen. Der Betteljunge ſtand wieder am Wege. Da haſt du noch was, ſagte Siegwart, und gab ihm einen Sechsbaͤtzner. Jn der Stadt lief er ſogleich zum Arzt, um ſich nach ſeines Vaters Umſtaͤnden zu er- kundigen. Der Arzt zuckte die Achſeln. Es iſt ſo ſo, ſagte er. Jch ward aus dem Haus ihres Vaters auf ein andres Dorf geholt zu einem Predi- ger, und konnte die Kriſin nicht abwarten. Wir muͤſſen ſehen. Uebermorgen komm ich wieder hin- aus. O lieber Herr Doktor, ſagte Siegwart, Mor- gen! Jch bitte Sie bey allem, was heilig iſt, reiten Sie doch Morgen hinaus! Thun Sie, was ſie koͤnnen! Retten Sie, retten Sie meinen Vater! Der Doktor machte Entſchuldigungen, daß er Morgen viel zu thun habe; verſprach aber doch, gegen Abend hinaus zu rei-
K k
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0085"n="505"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Wird fuͤr ſie auch Troſt haben. Wir wollen fuͤr ſie<lb/>
beten… Ach, ich weis, wies mir gieng! Jch war<lb/>
in <hirendition="#fr">Freyburg,</hi> als mein Vater ſtarb; wir waren<lb/>ſieben Waiſen. — Aber Gott hat keins von uns<lb/>
verlaſſen; keins! und mich am wenigſten… Faß<lb/>
er ſich, mein lieber Siegwart! Vielleicht hilft Gott<lb/>
noch… Hoff ers zu dem Vater aller Waiſen! —</p><lb/><p>Sie kehrten nun wieder nach der Stadt zuruͤck.<lb/>
Siegwart ſprach wenig, und ſchluchzte nur zuweilen.<lb/>
Der Betteljunge ſtand wieder am Wege. Da haſt<lb/>
du noch was, ſagte Siegwart, und gab ihm einen<lb/>
Sechsbaͤtzner. Jn der Stadt lief er ſogleich zum<lb/>
Arzt, um ſich nach ſeines Vaters Umſtaͤnden zu er-<lb/>
kundigen. Der Arzt zuckte die Achſeln. Es iſt<lb/>ſo ſo, ſagte er. Jch ward aus dem Haus ihres<lb/>
Vaters auf ein andres Dorf geholt zu einem Predi-<lb/>
ger, und konnte die Kriſin nicht abwarten. Wir<lb/>
muͤſſen ſehen. Uebermorgen komm ich wieder hin-<lb/>
aus. O lieber Herr Doktor, ſagte Siegwart, Mor-<lb/>
gen! Jch bitte Sie bey allem, was heilig iſt, reiten<lb/>
Sie doch Morgen hinaus! Thun Sie, was ſie koͤnnen!<lb/>
Retten Sie, retten Sie meinen Vater! Der Doktor<lb/>
machte Entſchuldigungen, daß er Morgen viel zu thun<lb/>
habe; verſprach aber doch, gegen Abend hinaus zu rei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K k</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[505/0085]
Wird fuͤr ſie auch Troſt haben. Wir wollen fuͤr ſie
beten… Ach, ich weis, wies mir gieng! Jch war
in Freyburg, als mein Vater ſtarb; wir waren
ſieben Waiſen. — Aber Gott hat keins von uns
verlaſſen; keins! und mich am wenigſten… Faß
er ſich, mein lieber Siegwart! Vielleicht hilft Gott
noch… Hoff ers zu dem Vater aller Waiſen! —
Sie kehrten nun wieder nach der Stadt zuruͤck.
Siegwart ſprach wenig, und ſchluchzte nur zuweilen.
Der Betteljunge ſtand wieder am Wege. Da haſt
du noch was, ſagte Siegwart, und gab ihm einen
Sechsbaͤtzner. Jn der Stadt lief er ſogleich zum
Arzt, um ſich nach ſeines Vaters Umſtaͤnden zu er-
kundigen. Der Arzt zuckte die Achſeln. Es iſt
ſo ſo, ſagte er. Jch ward aus dem Haus ihres
Vaters auf ein andres Dorf geholt zu einem Predi-
ger, und konnte die Kriſin nicht abwarten. Wir
muͤſſen ſehen. Uebermorgen komm ich wieder hin-
aus. O lieber Herr Doktor, ſagte Siegwart, Mor-
gen! Jch bitte Sie bey allem, was heilig iſt, reiten
Sie doch Morgen hinaus! Thun Sie, was ſie koͤnnen!
Retten Sie, retten Sie meinen Vater! Der Doktor
machte Entſchuldigungen, daß er Morgen viel zu thun
habe; verſprach aber doch, gegen Abend hinaus zu rei-
K k
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/85>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.