chen! Nun zweifelte Siegwart gar nicht mehr am Tode seines Vaters. P. Philipp zuckte auch die Achseln, und hielt es für wahrscheinlich, oder gar gewiß.
Siegwart setzte sich in seinem ganzen Schmerz nieder, um seinem Kronhelm zu schreiben. Unter anderm schrieb er: Sag mehr, du seyst allein un- glücklich auf der Welt! Jch bins auch, mehr als du. Mein Vater -- o wie kann ichs schreiben? -- mein Vater ist gestorben. -- Schreckliches, banges Wort! ich schreibe dir zum erstenmal und mit Zittern: Jch bin -- ein Vater- und Mut- terloser Waise. Gott! ein Waise! Aber du bist noch mein Vater! Wenn ich dich nicht hätte, o was wär ich! -- Sieh, Kronhelm, so kanns Men- schen gehen. Bist du nun allein elend? -- Noch ist der Todesbote nicht gekommen; aber Thorheit wär es, noch zu hoffen. Alle Umstände predigen mir Tod. -- Tod! -- O du süsses Wort. Wenns von mir auch gälte! -- u. s. w.
Den folgenden Morgen schrieb er wieder an eben diesem Briefe. Man klopfte an die Thür, und ein Bauer aus seinem Dorfe trat herein. Sieg- wart wagte es nicht, ihn zu fragen; er nahm den Brief an, gieng auf die Seite, brach ihn zitternd
chen! Nun zweifelte Siegwart gar nicht mehr am Tode ſeines Vaters. P. Philipp zuckte auch die Achſeln, und hielt es fuͤr wahrſcheinlich, oder gar gewiß.
Siegwart ſetzte ſich in ſeinem ganzen Schmerz nieder, um ſeinem Kronhelm zu ſchreiben. Unter anderm ſchrieb er: Sag mehr, du ſeyſt allein un- gluͤcklich auf der Welt! Jch bins auch, mehr als du. Mein Vater — o wie kann ichs ſchreiben? — mein Vater iſt geſtorben. — Schreckliches, banges Wort! ich ſchreibe dir zum erſtenmal und mit Zittern: Jch bin — ein Vater- und Mut- terloſer Waiſe. Gott! ein Waiſe! Aber du biſt noch mein Vater! Wenn ich dich nicht haͤtte, o was waͤr ich! — Sieh, Kronhelm, ſo kanns Men- ſchen gehen. Biſt du nun allein elend? — Noch iſt der Todesbote nicht gekommen; aber Thorheit waͤr es, noch zu hoffen. Alle Umſtaͤnde predigen mir Tod. — Tod! — O du ſuͤſſes Wort. Wenns von mir auch gaͤlte! — u. ſ. w.
Den folgenden Morgen ſchrieb er wieder an eben dieſem Briefe. Man klopfte an die Thuͤr, und ein Bauer aus ſeinem Dorfe trat herein. Sieg- wart wagte es nicht, ihn zu fragen; er nahm den Brief an, gieng auf die Seite, brach ihn zitternd
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chen! Nun zweifelte Siegwart gar nicht mehr am
Tode ſeines Vaters. P. Philipp zuckte auch die
Achſeln, und hielt es fuͤr wahrſcheinlich, oder gar
gewiß.
Siegwart ſetzte ſich in ſeinem ganzen Schmerz
nieder, um ſeinem Kronhelm zu ſchreiben. Unter
anderm ſchrieb er: Sag mehr, du ſeyſt allein un-
gluͤcklich auf der Welt! Jch bins auch, mehr als
du. Mein Vater — o wie kann ichs ſchreiben?
— mein Vater iſt geſtorben. — Schreckliches,
banges Wort! ich ſchreibe dir zum erſtenmal und
mit Zittern: Jch bin — ein Vater- und Mut-
terloſer Waiſe. Gott! ein Waiſe! Aber du biſt
noch mein Vater! Wenn ich dich nicht haͤtte, o
was waͤr ich! — Sieh, Kronhelm, ſo kanns Men-
ſchen gehen. Biſt du nun allein elend? — Noch
iſt der Todesbote nicht gekommen; aber Thorheit
waͤr es, noch zu hoffen. Alle Umſtaͤnde predigen
mir Tod. — Tod! — O du ſuͤſſes Wort. Wenns
von mir auch gaͤlte! — u. ſ. w.
Den folgenden Morgen ſchrieb er wieder an eben
dieſem Briefe. Man klopfte an die Thuͤr, und
ein Bauer aus ſeinem Dorfe trat herein. Sieg-
wart wagte es nicht, ihn zu fragen; er nahm den
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/88>, abgerufen am 24.11.2024.
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