Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierter Gesang.
An dich wend' ich die Stimme, doch nicht die Stimme des Freundes,
Und ich nenne mit Namen, dich Sonne; damit ich dir sage,
Wie mir deine Stralen verhaßt sind, die in das Gedächtniß
40Meinen vorigen Zustand mir bringen, von dem ich gefallen!
O wie glorreich war er! wie war er ehmals erhaben
Ueber deiner Sphäre, bis daß der verderbliche Hochmuth,
Und noch schlimmere Herrschsucht, mich so zu Boden gestürzet,
Da ich verwegen im Himmel den König des Himmels bekriegte,
45Dem kein anderer gleicht. Und ach! warum? Er verdiente
Keine solche Vergeltung von mir, da Er mich geschaffen,
Was ich war, so glänzend, so hoch erhaben, und niemals
Seine Güte mir vorwarf! Auch wars nicht schwer ihm zu dienen!
Was war leichter, als ihn mit Lob und Dank zu bezahlen.
50Eine so leichte Vergeltung! Wie billig war sie! Und dennoch
Ward in mir alle sein Gutes zu lauter Bösem, und brachte
Lauter Verderbniß hervor. So hoch erhaben, verdroß mich
Unterwerfung. Noch höher, nur Eine Stufe noch höher,
Dacht' ich der Allerhöchste zu werden, und dachte sogleich auch
55Von der endlosen Dankbarkeit unermeßlichen Schulden
Mich zu befreyn; so schwer, auch wenn sie bezahlt worden, doch noch
Jmmer schuldig zu bleiben, vergaß ich was ich beständig
Von ihm empfieng, und sah es nicht ein, daß ein dankbar Gemüthe,
Wenn es die Schuld erkennt, nichts schuldig ist, immer bezahlet;
60Zwar in Schulden fällt, doch auch zugleich die Schulden entrichtet e).

Welche
e) Nach dem Cicero, Gratiam autem et qui retulerit, habere, et qui
habeat, retulisse.
Bentley.
S

Vierter Geſang.
An dich wend’ ich die Stimme, doch nicht die Stimme des Freundes,
Und ich nenne mit Namen, dich Sonne; damit ich dir ſage,
Wie mir deine Stralen verhaßt ſind, die in das Gedaͤchtniß
40Meinen vorigen Zuſtand mir bringen, von dem ich gefallen!
O wie glorreich war er! wie war er ehmals erhaben
Ueber deiner Sphaͤre, bis daß der verderbliche Hochmuth,
Und noch ſchlimmere Herrſchſucht, mich ſo zu Boden geſtuͤrzet,
Da ich verwegen im Himmel den Koͤnig des Himmels bekriegte,
45Dem kein anderer gleicht. Und ach! warum? Er verdiente
Keine ſolche Vergeltung von mir, da Er mich geſchaffen,
Was ich war, ſo glaͤnzend, ſo hoch erhaben, und niemals
Seine Guͤte mir vorwarf! Auch wars nicht ſchwer ihm zu dienen!
Was war leichter, als ihn mit Lob und Dank zu bezahlen.
50Eine ſo leichte Vergeltung! Wie billig war ſie! Und dennoch
Ward in mir alle ſein Gutes zu lauter Boͤſem, und brachte
Lauter Verderbniß hervor. So hoch erhaben, verdroß mich
Unterwerfung. Noch hoͤher, nur Eine Stufe noch hoͤher,
Dacht’ ich der Allerhoͤchſte zu werden, und dachte ſogleich auch
55Von der endloſen Dankbarkeit unermeßlichen Schulden
Mich zu befreyn; ſo ſchwer, auch wenn ſie bezahlt worden, doch noch
Jmmer ſchuldig zu bleiben, vergaß ich was ich beſtaͤndig
Von ihm empfieng, und ſah es nicht ein, daß ein dankbar Gemuͤthe,
Wenn es die Schuld erkennt, nichts ſchuldig iſt, immer bezahlet;
60Zwar in Schulden faͤllt, doch auch zugleich die Schulden entrichtet e).

Welche
e) Nach dem Cicero, Gratiam autem et qui retulerit, habere, et qui
habeat, retuliſſe.
Bentley.
S
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="2">
            <pb facs="#f0157" n="137"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>An dich wend&#x2019; ich die Stimme, doch nicht die Stimme des Freundes,</l><lb/>
            <l>Und ich nenne mit Namen, dich Sonne; damit ich dir &#x017F;age,</l><lb/>
            <l>Wie mir deine Stralen verhaßt &#x017F;ind, die in das Geda&#x0364;chtniß</l><lb/>
            <l><note place="left">40</note>Meinen vorigen Zu&#x017F;tand mir bringen, von dem ich gefallen!</l><lb/>
            <l>O wie glorreich war er! wie war er ehmals erhaben</l><lb/>
            <l>Ueber deiner Spha&#x0364;re, bis daß der verderbliche Hochmuth,</l><lb/>
            <l>Und noch &#x017F;chlimmere Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht, mich &#x017F;o zu Boden ge&#x017F;tu&#x0364;rzet,</l><lb/>
            <l>Da ich verwegen im Himmel den Ko&#x0364;nig des Himmels bekriegte,</l><lb/>
            <l><note place="left">45</note>Dem kein anderer gleicht. Und ach! warum? Er verdiente</l><lb/>
            <l>Keine &#x017F;olche Vergeltung von mir, da Er mich ge&#x017F;chaffen,</l><lb/>
            <l>Was ich war, &#x017F;o gla&#x0364;nzend, &#x017F;o hoch erhaben, und niemals</l><lb/>
            <l>Seine Gu&#x0364;te mir vorwarf! Auch wars nicht &#x017F;chwer ihm zu dienen!</l><lb/>
            <l>Was war leichter, als ihn mit Lob und Dank zu bezahlen.</l><lb/>
            <l><note place="left">50</note>Eine &#x017F;o leichte Vergeltung! Wie billig war &#x017F;ie! Und dennoch</l><lb/>
            <l>Ward in mir alle &#x017F;ein Gutes zu lauter Bo&#x0364;&#x017F;em, und brachte</l><lb/>
            <l>Lauter Verderbniß hervor. So hoch erhaben, verdroß mich</l><lb/>
            <l>Unterwerfung. Noch ho&#x0364;her, nur Eine Stufe noch ho&#x0364;her,</l><lb/>
            <l>Dacht&#x2019; ich der Allerho&#x0364;ch&#x017F;te zu werden, und dachte &#x017F;ogleich auch</l><lb/>
            <l><note place="left">55</note>Von der endlo&#x017F;en Dankbarkeit unermeßlichen Schulden</l><lb/>
            <l>Mich zu befreyn; &#x017F;o &#x017F;chwer, auch wenn &#x017F;ie bezahlt worden, doch noch</l><lb/>
            <l>Jmmer &#x017F;chuldig zu bleiben, vergaß ich was ich be&#x017F;ta&#x0364;ndig</l><lb/>
            <l>Von ihm empfieng, und &#x017F;ah es nicht ein, daß ein dankbar Gemu&#x0364;the,</l><lb/>
            <l>Wenn es die Schuld erkennt, nichts &#x017F;chuldig i&#x017F;t, immer bezahlet;</l><lb/>
            <l><note place="left">60</note>Zwar in Schulden fa&#x0364;llt, doch auch zugleich die Schulden entrichtet <note place="foot" n="e)">Nach dem <hi rendition="#aq">Cicero, Gratiam autem et qui retulerit, habere, et qui<lb/>
habeat, retuli&#x017F;&#x017F;e.</hi> <hi rendition="#fr">Bentley.</hi></note>.</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Welche</fw><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">S</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0157] Vierter Geſang. An dich wend’ ich die Stimme, doch nicht die Stimme des Freundes, Und ich nenne mit Namen, dich Sonne; damit ich dir ſage, Wie mir deine Stralen verhaßt ſind, die in das Gedaͤchtniß Meinen vorigen Zuſtand mir bringen, von dem ich gefallen! O wie glorreich war er! wie war er ehmals erhaben Ueber deiner Sphaͤre, bis daß der verderbliche Hochmuth, Und noch ſchlimmere Herrſchſucht, mich ſo zu Boden geſtuͤrzet, Da ich verwegen im Himmel den Koͤnig des Himmels bekriegte, Dem kein anderer gleicht. Und ach! warum? Er verdiente Keine ſolche Vergeltung von mir, da Er mich geſchaffen, Was ich war, ſo glaͤnzend, ſo hoch erhaben, und niemals Seine Guͤte mir vorwarf! Auch wars nicht ſchwer ihm zu dienen! Was war leichter, als ihn mit Lob und Dank zu bezahlen. Eine ſo leichte Vergeltung! Wie billig war ſie! Und dennoch Ward in mir alle ſein Gutes zu lauter Boͤſem, und brachte Lauter Verderbniß hervor. So hoch erhaben, verdroß mich Unterwerfung. Noch hoͤher, nur Eine Stufe noch hoͤher, Dacht’ ich der Allerhoͤchſte zu werden, und dachte ſogleich auch Von der endloſen Dankbarkeit unermeßlichen Schulden Mich zu befreyn; ſo ſchwer, auch wenn ſie bezahlt worden, doch noch Jmmer ſchuldig zu bleiben, vergaß ich was ich beſtaͤndig Von ihm empfieng, und ſah es nicht ein, daß ein dankbar Gemuͤthe, Wenn es die Schuld erkennt, nichts ſchuldig iſt, immer bezahlet; Zwar in Schulden faͤllt, doch auch zugleich die Schulden entrichtet e). Welche e) Nach dem Cicero, Gratiam autem et qui retulerit, habere, et qui habeat, retuliſſe. Bentley. S

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/157
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/157>, abgerufen am 21.11.2024.