Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.Das verlohrne Paradies. Lustwälder, wo die köstlichen Bäume wohlriechendes Gummi,Oder Balsam weinten; von andern hiengen die Früchte Glänzend mit güldenen Schaalen voll Anmuth herunter; hier wurden 250Die Hesperischen Fabeln wahr, hier allein, oder nirgend. Früchte vom schönsten Geschmack. Es lagen blumichte Wiesen, Lachende Auen, zwischen den Wäldern, mit grasenden Heerden. Oder Palmenhügel, und manche gewässerte Thäler, Schlossen den Blumenschooß auf, und zeigten die duftenden Schätze, 255Blumen von allen Farben, und ohne Dornen die Rose. An der andern Seit' erblickte man schattichte Höhlen; Grotten mit kühlen Gemächern, worüber der fruchtbare Weinstock Seine purpurnen Trauben verspreitet, und anmuthsvoll fortkriecht, Murmelnde Wasser fallen indeß die Klippen herunter, 260Welche sich theilen, oder im See die Fluthen versammeln, Der dem Ufer, mit Myrthen gekrönt, den krystallenen Spiegel Vorhält; die Vögel erheben dazu die melodischen Chöre; Und die süßesten Lüfte, holdseelige Frühlingslüfte, Welche die holden Gerüche der Fluren und Wälder aushauchen, 265Stimmen dazu mit sanftem Geräusche die zitternden Blätter. Mit den Gratien, und mit den Stunden, in Tänze geschlossen, Leitet der allgemeine Pan [Spaltenumbruch] n) den ewigen Frühling Ueber n) Die Alten machten aus allen
Dingen Personen; Pan ist die Natur; die Gratien sind die angenehmen Jahrszeiten; und die Stunden sind die Zeit, die zu Hervorbringung und zur Vollkommenheit der Dinge erfor- dert wird. Milton sagt also nur auf [Spaltenumbruch] eine sehr poetische Art, (wie Homer vor ihm in dem Hymnus an den Apoll gethan), daß itzo die ganze Natur in vollkommner Schönheit war, und je- de Stunde etwas neues und vollkom- menes hervorbrachte. Richardson. Das verlohrne Paradies. Luſtwaͤlder, wo die koͤſtlichen Baͤume wohlriechendes Gummi,Oder Balſam weinten; von andern hiengen die Fruͤchte Glaͤnzend mit guͤldenen Schaalen voll Anmuth herunter; hier wurden 250Die Heſperiſchen Fabeln wahr, hier allein, oder nirgend. Fruͤchte vom ſchoͤnſten Geſchmack. Es lagen blumichte Wieſen, Lachende Auen, zwiſchen den Waͤldern, mit graſenden Heerden. Oder Palmenhuͤgel, und manche gewaͤſſerte Thaͤler, Schloſſen den Blumenſchooß auf, und zeigten die duftenden Schaͤtze, 255Blumen von allen Farben, und ohne Dornen die Roſe. An der andern Seit’ erblickte man ſchattichte Hoͤhlen; Grotten mit kuͤhlen Gemaͤchern, woruͤber der fruchtbare Weinſtock Seine purpurnen Trauben verſpreitet, und anmuthsvoll fortkriecht, Murmelnde Waſſer fallen indeß die Klippen herunter, 260Welche ſich theilen, oder im See die Fluthen verſammeln, Der dem Ufer, mit Myrthen gekroͤnt, den kryſtallenen Spiegel Vorhaͤlt; die Voͤgel erheben dazu die melodiſchen Choͤre; Und die ſuͤßeſten Luͤfte, holdſeelige Fruͤhlingsluͤfte, Welche die holden Geruͤche der Fluren und Waͤlder aushauchen, 265Stimmen dazu mit ſanftem Geraͤuſche die zitternden Blaͤtter. Mit den Gratien, und mit den Stunden, in Taͤnze geſchloſſen, Leitet der allgemeine Pan [Spaltenumbruch] n) den ewigen Fruͤhling Ueber n) Die Alten machten aus allen
Dingen Perſonen; Pan iſt die Natur; die Gratien ſind die angenehmen Jahrszeiten; und die Stunden ſind die Zeit, die zu Hervorbringung und zur Vollkommenheit der Dinge erfor- dert wird. Milton ſagt alſo nur auf [Spaltenumbruch] eine ſehr poetiſche Art, (wie Homer vor ihm in dem Hymnus an den Apoll gethan), daß itzo die ganze Natur in vollkommner Schoͤnheit war, und je- de Stunde etwas neues und vollkom- menes hervorbrachte. Richardſon. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <pb facs="#f0166" n="146"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/> <l>Luſtwaͤlder, wo die koͤſtlichen Baͤume wohlriechendes Gummi,</l><lb/> <l>Oder Balſam weinten; von andern hiengen die Fruͤchte</l><lb/> <l>Glaͤnzend mit guͤldenen Schaalen voll Anmuth herunter; hier wurden</l><lb/> <l><note place="left">250</note>Die <hi rendition="#fr">Heſperiſchen</hi> Fabeln wahr, hier allein, oder nirgend.</l><lb/> <l>Fruͤchte vom ſchoͤnſten Geſchmack. Es lagen blumichte Wieſen,</l><lb/> <l>Lachende Auen, zwiſchen den Waͤldern, mit graſenden Heerden.</l><lb/> <l>Oder Palmenhuͤgel, und manche gewaͤſſerte Thaͤler,</l><lb/> <l>Schloſſen den Blumenſchooß auf, und zeigten die duftenden Schaͤtze,</l><lb/> <l><note place="left">255</note>Blumen von allen Farben, und ohne Dornen die Roſe.</l><lb/> <l>An der andern Seit’ erblickte man ſchattichte Hoͤhlen;</l><lb/> <l>Grotten mit kuͤhlen Gemaͤchern, woruͤber der fruchtbare Weinſtock</l><lb/> <l>Seine purpurnen Trauben verſpreitet, und anmuthsvoll fortkriecht,</l><lb/> <l>Murmelnde Waſſer fallen indeß die Klippen herunter,</l><lb/> <l><note place="left">260</note>Welche ſich theilen, oder im See die Fluthen verſammeln,</l><lb/> <l>Der dem Ufer, mit Myrthen gekroͤnt, den kryſtallenen Spiegel</l><lb/> <l>Vorhaͤlt; die Voͤgel erheben dazu die melodiſchen Choͤre;</l><lb/> <l>Und die ſuͤßeſten Luͤfte, holdſeelige Fruͤhlingsluͤfte,</l><lb/> <l>Welche die holden Geruͤche der Fluren und Waͤlder aushauchen,</l><lb/> <l><note place="left">265</note>Stimmen dazu mit ſanftem Geraͤuſche die zitternden Blaͤtter.</l><lb/> <l>Mit den Gratien, und mit den Stunden, in Taͤnze geſchloſſen,</l><lb/> <l>Leitet der allgemeine <hi rendition="#fr">Pan</hi> <cb/> <note place="foot" n="n)">Die Alten machten aus allen<lb/> Dingen Perſonen; <hi rendition="#fr">Pan</hi> iſt die Natur;<lb/> die <hi rendition="#fr">Gratien</hi> ſind die angenehmen<lb/> Jahrszeiten; und die <hi rendition="#fr">Stunden</hi> ſind<lb/> die Zeit, die zu Hervorbringung und<lb/> zur Vollkommenheit der Dinge erfor-<lb/> dert wird. Milton ſagt alſo nur auf<lb/><cb/> eine ſehr poetiſche Art, (wie Homer<lb/> vor ihm in dem Hymnus an den Apoll<lb/> gethan), daß itzo die ganze Natur in<lb/> vollkommner Schoͤnheit war, und je-<lb/> de Stunde etwas neues und vollkom-<lb/> menes hervorbrachte. <hi rendition="#fr">Richardſon.</hi></note> den ewigen Fruͤhling</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ueber</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [146/0166]
Das verlohrne Paradies.
Luſtwaͤlder, wo die koͤſtlichen Baͤume wohlriechendes Gummi,
Oder Balſam weinten; von andern hiengen die Fruͤchte
Glaͤnzend mit guͤldenen Schaalen voll Anmuth herunter; hier wurden
Die Heſperiſchen Fabeln wahr, hier allein, oder nirgend.
Fruͤchte vom ſchoͤnſten Geſchmack. Es lagen blumichte Wieſen,
Lachende Auen, zwiſchen den Waͤldern, mit graſenden Heerden.
Oder Palmenhuͤgel, und manche gewaͤſſerte Thaͤler,
Schloſſen den Blumenſchooß auf, und zeigten die duftenden Schaͤtze,
Blumen von allen Farben, und ohne Dornen die Roſe.
An der andern Seit’ erblickte man ſchattichte Hoͤhlen;
Grotten mit kuͤhlen Gemaͤchern, woruͤber der fruchtbare Weinſtock
Seine purpurnen Trauben verſpreitet, und anmuthsvoll fortkriecht,
Murmelnde Waſſer fallen indeß die Klippen herunter,
Welche ſich theilen, oder im See die Fluthen verſammeln,
Der dem Ufer, mit Myrthen gekroͤnt, den kryſtallenen Spiegel
Vorhaͤlt; die Voͤgel erheben dazu die melodiſchen Choͤre;
Und die ſuͤßeſten Luͤfte, holdſeelige Fruͤhlingsluͤfte,
Welche die holden Geruͤche der Fluren und Waͤlder aushauchen,
Stimmen dazu mit ſanftem Geraͤuſche die zitternden Blaͤtter.
Mit den Gratien, und mit den Stunden, in Taͤnze geſchloſſen,
Leitet der allgemeine Pan
n) den ewigen Fruͤhling
Ueber
n) Die Alten machten aus allen
Dingen Perſonen; Pan iſt die Natur;
die Gratien ſind die angenehmen
Jahrszeiten; und die Stunden ſind
die Zeit, die zu Hervorbringung und
zur Vollkommenheit der Dinge erfor-
dert wird. Milton ſagt alſo nur auf
eine ſehr poetiſche Art, (wie Homer
vor ihm in dem Hymnus an den Apoll
gethan), daß itzo die ganze Natur in
vollkommner Schoͤnheit war, und je-
de Stunde etwas neues und vollkom-
menes hervorbrachte. Richardſon.
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