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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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bräuche/ und Religions-Sachen anderer Völcker
betrifft: da die meisten Reisende entweder die Sa-
chen nicht gründlich untersuchet; oder nach ihren
vorgefassten Meynungen und Partheyligkeit/ an-
dern gantz falsche Dinge angedichtet haben.
Theogenes. Es ist allerdings wahrzunehmen: daß
die Vorurtheile unserer Erziehung und Gewohn-
heiten/ uns öffters in einen gantz falschen und irrigen
Wahn fremder Sachen und Nationen bringen.
Wie solches ein unpartheyischer Reisender öffters er-
fähret. Jch will zum Exempel nur die Türcken und
Tatern anführen; welche man uns von Jugend
auf durchgehends als die grausamste Barbaren vor-
bildet; und so vorstelt: als ob wir Europäer Engel
in Ansehung ihrer wären. Wer aber mit diesen Völ-
ckern weißlich umgehet/ erfähret in der Wahrheit:
daß es unter allerley Völckern rechtschaffene honete
Leute giebet/ welche GOtt fürchten und recht zu
thun sich befleißigen; und daß demnach GOtt der
HErr auch die Seinige unter diesen Völckern habe/
ohnerachtet verschiedener Jrrthümer ihrer Religion.
Und daß mehrentheils die Europäer gar eine zu
schlechte Opinion von andern Völckern hegen/ zu-
mahlen die lieben Herren/ welche immer hinter dem
Ofen gesteckt/ und welchen nichts gefällt/ als was
mit denen Vorurtheilen ihrer lieben Landsmann-
schafft überein kommet.
Nicander. Jch lobe des Herrn Theogenes offen-
hertzige Anmerckungen; und falle ihnen hierinnen
gäntzlich bey. Was haben sie aber auf ihren Rei-
sen besonders Merckwürdiges erfahren/ davon wir
uns
G 4


braͤuche/ und Religions-Sachen anderer Voͤlcker
betrifft: da die meiſten Reiſende entweder die Sa-
chen nicht gruͤndlich unterſuchet; oder nach ihren
vorgefaſſten Meynungen und Partheyligkeit/ an-
dern gantz falſche Dinge angedichtet haben.
Theogenes. Es iſt allerdings wahrzunehmen: daß
die Vorurtheile unſerer Erziehung und Gewohn-
heiten/ uns oͤffters in einen gantz falſchen und irrigen
Wahn fremder Sachen und Nationen bringen.
Wie ſolches ein unpartheyiſcher Reiſender oͤffters er-
faͤhret. Jch will zum Exempel nur die Tuͤrcken und
Tatern anfuͤhren; welche man uns von Jugend
auf durchgehends als die grauſamſte Barbaren vor-
bildet; und ſo vorſtelt: als ob wir Europaͤer Engel
in Anſehung ihrer waͤren. Wer aber mit dieſen Voͤl-
ckern weißlich umgehet/ erfaͤhret in der Wahrheit:
daß es unter allerley Voͤlckern rechtſchaffene honete
Leute giebet/ welche GOtt fuͤrchten und recht zu
thun ſich befleißigen; und daß demnach GOtt der
HErr auch die Seinige unter dieſen Voͤlckern habe/
ohnerachtet verſchiedener Jrrthuͤmer ihrer Religion.
Und daß mehrentheils die Europaͤer gar eine zu
ſchlechte Opinion von andern Voͤlckern hegen/ zu-
mahlen die lieben Herren/ welche immer hinter dem
Ofen geſteckt/ und welchen nichts gefaͤllt/ als was
mit denen Vorurtheilen ihrer lieben Landsmann-
ſchafft uͤberein kommet.
Nicander. Jch lobe des Herrn Theogenes offen-
hertzige Anmerckungen; und falle ihnen hierinnen
gaͤntzlich bey. Was haben ſie aber auf ihren Rei-
ſen beſonders Merckwuͤrdiges erfahren/ davon wir
uns
G 4
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[103/0109] braͤuche/ und Religions-Sachen anderer Voͤlcker betrifft: da die meiſten Reiſende entweder die Sa- chen nicht gruͤndlich unterſuchet; oder nach ihren vorgefaſſten Meynungen und Partheyligkeit/ an- dern gantz falſche Dinge angedichtet haben. Theogenes. Es iſt allerdings wahrzunehmen: daß die Vorurtheile unſerer Erziehung und Gewohn- heiten/ uns oͤffters in einen gantz falſchen und irrigen Wahn fremder Sachen und Nationen bringen. Wie ſolches ein unpartheyiſcher Reiſender oͤffters er- faͤhret. Jch will zum Exempel nur die Tuͤrcken und Tatern anfuͤhren; welche man uns von Jugend auf durchgehends als die grauſamſte Barbaren vor- bildet; und ſo vorſtelt: als ob wir Europaͤer Engel in Anſehung ihrer waͤren. Wer aber mit dieſen Voͤl- ckern weißlich umgehet/ erfaͤhret in der Wahrheit: daß es unter allerley Voͤlckern rechtſchaffene honete Leute giebet/ welche GOtt fuͤrchten und recht zu thun ſich befleißigen; und daß demnach GOtt der HErr auch die Seinige unter dieſen Voͤlckern habe/ ohnerachtet verſchiedener Jrrthuͤmer ihrer Religion. Und daß mehrentheils die Europaͤer gar eine zu ſchlechte Opinion von andern Voͤlckern hegen/ zu- mahlen die lieben Herren/ welche immer hinter dem Ofen geſteckt/ und welchen nichts gefaͤllt/ als was mit denen Vorurtheilen ihrer lieben Landsmann- ſchafft uͤberein kommet. Nicander. Jch lobe des Herrn Theogenes offen- hertzige Anmerckungen; und falle ihnen hierinnen gaͤntzlich bey. Was haben ſie aber auf ihren Rei- ſen beſonders Merckwuͤrdiges erfahren/ davon wir uns G 4

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/109>, abgerufen am 28.11.2024.