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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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zu prüfen, zu con- und dis-sentiren, nachdeme ich
von der Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit der Sa-
chen werde überzeuget seyn. Massen es mir albern
vorkomt, eine Sache deswegen vor wahr oder falsch
zu halten: weilen es der Hauffen, darunter ich er-
zogen bin, vor wahr oder falsch angenommen hat.
Alamodan. Wir müssen doch das Zeugnis der
Heil. Schrifft annehmen: wann wir schon die be-
sondere Ceremonien und Gebräuche dieser oder jener
Kirche nicht billigen wolten.
Nicander. Ehe ich das Zeugnis eurer Bibel als
eine unstreitige Wahrheit und Richtschnur anneh-
me, müsset ihr mich erst überzeugen: daß solche ohn-
fehlbar von GOtt denen Verfassern auf eine göttli-
che Weise eingegeben worden. Denn fast alle Re-
ligionen in der Welt ihre Glaubens-Articul von ei-
nem besondern heiligen Ursprung und Offenbah-
rung herleiten. So halten die Türcken ihren Ma-
homet,
die Chineser ihren Confutium, andere ihre
Vorfahren vor Heilige und sonderbahre erleuchtete
Propheten und Lehrer.
Modestin. Jch kan es dem Herrn Nicander nicht
verdencken, daß er nicht alles unter einander so gleich-
hin ohne Prüfung, und ohne gründliche Ueberzeug-
ung annehmen kan. Ehe wir uns aber entschliessen,
über eine so wichtige Sache ein gesundes und wohl-
gegründetes Urtheil zu fällen; ist es ja billig, daß
wir uns erst selbst wohl prüfen: ob wir auch in dem
Licht und in der Krafft stehen, das Wahre vom
Falschen; das Licht von Finsterniß; die Krafft der
Tugend von der Eitelkeit und Thorheit zu entschei-
den.
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zu pruͤfen, zu con- und dis-ſentiren, nachdeme ich
von der Wahrheit oder Wahrſcheinlichkeit der Sa-
chen werde uͤberzeuget ſeyn. Maſſen es mir albern
vorkomt, eine Sache deswegen vor wahr oder falſch
zu halten: weilen es der Hauffen, darunter ich er-
zogen bin, vor wahr oder falſch angenommen hat.
Alamodan. Wir muͤſſen doch das Zeugnis der
Heil. Schrifft annehmen: wann wir ſchon die be-
ſondere Ceremonien und Gebraͤuche dieſer oder jener
Kirche nicht billigen wolten.
Nicander. Ehe ich das Zeugnis eurer Bibel als
eine unſtreitige Wahrheit und Richtſchnur anneh-
me, muͤſſet ihr mich erſt uͤberzeugen: daß ſolche ohn-
fehlbar von GOtt denen Verfaſſern auf eine goͤttli-
che Weiſe eingegeben worden. Denn faſt alle Re-
ligionen in der Welt ihre Glaubens-Articul von ei-
nem beſondern heiligen Urſprung und Offenbah-
rung herleiten. So halten die Tuͤrcken ihren Ma-
homet,
die Chineſer ihren Confutium, andere ihre
Vorfahren vor Heilige und ſonderbahre erleuchtete
Propheten und Lehrer.
Modeſtin. Jch kan es dem Herrn Nicander nicht
verdencken, daß er nicht alles unter einander ſo gleich-
hin ohne Pruͤfung, und ohne gruͤndliche Ueberzeug-
ung annehmen kan. Ehe wir uns aber entſchlieſſen,
uͤber eine ſo wichtige Sache ein geſundes und wohl-
gegruͤndetes Urtheil zu faͤllen; iſt es ja billig, daß
wir uns erſt ſelbſt wohl pruͤfen: ob wir auch in dem
Licht und in der Krafft ſtehen, das Wahre vom
Falſchen; das Licht von Finſterniß; die Krafft der
Tugend von der Eitelkeit und Thorheit zu entſchei-
den.
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[9/0015] zu pruͤfen, zu con- und dis-ſentiren, nachdeme ich von der Wahrheit oder Wahrſcheinlichkeit der Sa- chen werde uͤberzeuget ſeyn. Maſſen es mir albern vorkomt, eine Sache deswegen vor wahr oder falſch zu halten: weilen es der Hauffen, darunter ich er- zogen bin, vor wahr oder falſch angenommen hat. Alamodan. Wir muͤſſen doch das Zeugnis der Heil. Schrifft annehmen: wann wir ſchon die be- ſondere Ceremonien und Gebraͤuche dieſer oder jener Kirche nicht billigen wolten. Nicander. Ehe ich das Zeugnis eurer Bibel als eine unſtreitige Wahrheit und Richtſchnur anneh- me, muͤſſet ihr mich erſt uͤberzeugen: daß ſolche ohn- fehlbar von GOtt denen Verfaſſern auf eine goͤttli- che Weiſe eingegeben worden. Denn faſt alle Re- ligionen in der Welt ihre Glaubens-Articul von ei- nem beſondern heiligen Urſprung und Offenbah- rung herleiten. So halten die Tuͤrcken ihren Ma- homet, die Chineſer ihren Confutium, andere ihre Vorfahren vor Heilige und ſonderbahre erleuchtete Propheten und Lehrer. Modeſtin. Jch kan es dem Herrn Nicander nicht verdencken, daß er nicht alles unter einander ſo gleich- hin ohne Pruͤfung, und ohne gruͤndliche Ueberzeug- ung annehmen kan. Ehe wir uns aber entſchlieſſen, uͤber eine ſo wichtige Sache ein geſundes und wohl- gegruͤndetes Urtheil zu faͤllen; iſt es ja billig, daß wir uns erſt ſelbſt wohl pruͤfen: ob wir auch in dem Licht und in der Krafft ſtehen, das Wahre vom Falſchen; das Licht von Finſterniß; die Krafft der Tugend von der Eitelkeit und Thorheit zu entſchei- den. A 5

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/15>, abgerufen am 21.11.2024.