Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.den, Pferden, Affen, etc. genugsam sehen kan. Daß aber die meiste Menschen den sich in ihnen regenden Funcken des Geistes GOttes in ihrem Ge- wissen, oder den züchtigenden bestraffenden Gna- den-Geist kein Gehör geben, sondern selben unter- drücken und ersticken, durch ihre Lüste und thieri- sches Leben, daran kan ein unpartheyischer, dem die Augen geöffnet sind, wohl schwerlich zweiffeln. Denn die Eigen- und Creatur-Liebe hat alle Stän- de und Nationen dergestalt durchdrungen, daß man das Wahre vom Falschen, das Gute vom Bösen, fast nicht mehr zu entscheiden weiß, will, oder kan. Nicander. Nach unseres Herrn Modestini Be- schreibung müste zwischen einem Christen und einem andern vernünftigen Menschen ein mercklicher Un- terscheid seyn, welches ich an seinem Ort gestellt seyn lassen will. Jch habe aber auf meinen Reisen öffters Gelegenheit gehabt allerley Leute kennen zu lernen, und unter denen so genannten Pietisten, feinen, und besonders fromm sich anstellenden, Leu- te von allerley Caracteren gefunden: theils honette, rechtschaffene, ehrliche Leute; theils aber auch solche, welche unter dem Mantel der Pietät allerhand pias fraudes, Schrappereyen, Füntgens auszuüben wu- sten; theils auch ihrem herrschsüchtigen Eigensinn ein solches Futter zu verschaffen, daß es subtile Spitzbuben und listige Betrüger nicht besser und feiner hätten ins Werck richten können. Andere, welche ihrem Leibe auch etwas zu gute zu thun wu- sten. Welche alle zusammen im Grunde des Her- tzens (die Worte ausgenommen) von der Ver- läugnung
den, Pferden, Affen, etc. genugſam ſehen kan. Daß aber die meiſte Menſchen den ſich in ihnen regenden Funcken des Geiſtes GOttes in ihrem Ge- wiſſen, oder den zuͤchtigenden beſtraffenden Gna- den-Geiſt kein Gehoͤr geben, ſondern ſelben unter- druͤcken und erſticken, durch ihre Luͤſte und thieri- ſches Leben, daran kan ein unpartheyiſcher, dem die Augen geoͤffnet ſind, wohl ſchwerlich zweiffeln. Denn die Eigen- und Creatur-Liebe hat alle Staͤn- de und Nationen dergeſtalt durchdrungen, daß man das Wahre vom Falſchen, das Gute vom Boͤſen, faſt nicht mehr zu entſcheiden weiß, will, oder kan. Nicander. Nach unſeres Herrn Modeſtini Be- ſchreibung muͤſte zwiſchen einem Chriſten und einem andern vernuͤnftigen Menſchen ein mercklicher Un- terſcheid ſeyn, welches ich an ſeinem Ort geſtellt ſeyn laſſen will. Jch habe aber auf meinen Reiſen oͤffters Gelegenheit gehabt allerley Leute kennen zu lernen, und unter denen ſo genannten Pietiſten, feinen, und beſonders fromm ſich anſtellenden, Leu- te von allerley Caracteren gefunden: theils honette, rechtſchaffene, ehrliche Leute; theils aber auch ſolche, welche unter dem Mantel der Pietaͤt allerhand pias fraudes, Schrappereyen, Fuͤntgens auszuuͤben wu- ſten; theils auch ihrem herrſchſuͤchtigen Eigenſinn ein ſolches Futter zu verſchaffen, daß es ſubtile Spitzbuben und liſtige Betruͤger nicht beſſer und feiner haͤtten ins Werck richten koͤnnen. Andere, welche ihrem Leibe auch etwas zu gute zu thun wu- ſten. Welche alle zuſammen im Grunde des Her- tzens (die Worte ausgenommen) von der Ver- laͤugnung
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den, Pferden, Affen, etc. genugſam ſehen kan.
Daß aber die meiſte Menſchen den ſich in ihnen
regenden Funcken des Geiſtes GOttes in ihrem Ge-
wiſſen, oder den zuͤchtigenden beſtraffenden Gna-
den-Geiſt kein Gehoͤr geben, ſondern ſelben unter-
druͤcken und erſticken, durch ihre Luͤſte und thieri-
ſches Leben, daran kan ein unpartheyiſcher, dem die
Augen geoͤffnet ſind, wohl ſchwerlich zweiffeln.
Denn die Eigen- und Creatur-Liebe hat alle Staͤn-
de und Nationen dergeſtalt durchdrungen, daß man
das Wahre vom Falſchen, das Gute vom Boͤſen,
faſt nicht mehr zu entſcheiden weiß, will, oder kan.
Nicander. Nach unſeres Herrn Modeſtini Be-
ſchreibung muͤſte zwiſchen einem Chriſten und einem
andern vernuͤnftigen Menſchen ein mercklicher Un-
terſcheid ſeyn, welches ich an ſeinem Ort geſtellt
ſeyn laſſen will. Jch habe aber auf meinen Reiſen
oͤffters Gelegenheit gehabt allerley Leute kennen zu
lernen, und unter denen ſo genannten Pietiſten,
feinen, und beſonders fromm ſich anſtellenden, Leu-
te von allerley Caracteren gefunden: theils honette,
rechtſchaffene, ehrliche Leute; theils aber auch ſolche,
welche unter dem Mantel der Pietaͤt allerhand pias
fraudes, Schrappereyen, Fuͤntgens auszuuͤben wu-
ſten; theils auch ihrem herrſchſuͤchtigen Eigenſinn
ein ſolches Futter zu verſchaffen, daß es ſubtile
Spitzbuben und liſtige Betruͤger nicht beſſer und
feiner haͤtten ins Werck richten koͤnnen. Andere,
welche ihrem Leibe auch etwas zu gute zu thun wu-
ſten. Welche alle zuſammen im Grunde des Her-
tzens (die Worte ausgenommen) von der Ver-
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