Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Ging es und ritte manches Mal
Ohne Diener durch's Wiesenthal.
Dann sprachen die Leute insgemein:
"Seht da, des Sultans Töchterlein!"
War weiß von Haut und schwarz von Haar,
Mit Ringeln deckt's den Nacken gar.
Ihr Auge gab so edlen Glanz,
Sah munter drein beim Schäfertanz;
Ihr rother Mund zwar red'te nicht,
Konnt' aber lachen inniglich.

Einsmals schön Rahel saß allein
Beim Birkenwald am grünen Rain,
Dacht' einem Traumgesichte nach,
Darin ihr Gott der Herr versprach,
Treu und wahrhaft, durch Engelsmund:
Sie sollte werden ganz gesund,
Wenn sie ihm thäte Dies und Das --
Sie wußte leider nicht mehr Was?
Hätt' sie's gewußt, sie könnt's nicht sagen,
Müßt' es ewig bei ihr selbsten tragen.
Das fiel ihr nun auf's Herz so schwer,
Daß sie seufzet laut und weinet sehr.
Nun kam den Pfad ein Büblein her,
Dem war die Rahel wohlgesinnt,
Es war des Juden Pächters Kind,
Kam von der Synagoge warm,
Hatt' Buch und Täflein unter'm Arm.

Ging es und ritte manches Mal
Ohne Diener durch's Wieſenthal.
Dann ſprachen die Leute insgemein:
„Seht da, des Sultans Toͤchterlein!“
War weiß von Haut und ſchwarz von Haar,
Mit Ringeln deckt's den Nacken gar.
Ihr Auge gab ſo edlen Glanz,
Sah munter drein beim Schaͤfertanz;
Ihr rother Mund zwar red'te nicht,
Konnt' aber lachen inniglich.

Einsmals ſchoͤn Rahel ſaß allein
Beim Birkenwald am gruͤnen Rain,
Dacht' einem Traumgeſichte nach,
Darin ihr Gott der Herr verſprach,
Treu und wahrhaft, durch Engelsmund:
Sie ſollte werden ganz geſund,
Wenn ſie ihm thaͤte Dies und Das —
Sie wußte leider nicht mehr Was?
Haͤtt' ſie's gewußt, ſie koͤnnt's nicht ſagen,
Muͤßt' es ewig bei ihr ſelbſten tragen.
Das fiel ihr nun auf's Herz ſo ſchwer,
Daß ſie ſeufzet laut und weinet ſehr.
Nun kam den Pfad ein Buͤblein her,
Dem war die Rahel wohlgeſinnt,
Es war des Juden Paͤchters Kind,
Kam von der Synagoge warm,
Hatt' Buch und Taͤflein unter'm Arm.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="2">
              <pb facs="#f0107" n="91"/>
              <l>Ging es und ritte manches Mal</l><lb/>
              <l>Ohne Diener durch's Wie&#x017F;enthal.</l><lb/>
              <l>Dann &#x017F;prachen die Leute insgemein:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Seht da, des Sultans To&#x0364;chterlein!&#x201C;</l><lb/>
              <l>War weiß von Haut und &#x017F;chwarz von Haar,</l><lb/>
              <l>Mit Ringeln deckt's den Nacken gar.</l><lb/>
              <l>Ihr Auge gab &#x017F;o edlen Glanz,</l><lb/>
              <l>Sah munter drein beim Scha&#x0364;fertanz;</l><lb/>
              <l>Ihr rother Mund zwar red'te nicht,</l><lb/>
              <l>Konnt' aber lachen inniglich.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l>Einsmals &#x017F;cho&#x0364;n Rahel &#x017F;aß allein</l><lb/>
              <l>Beim Birkenwald am gru&#x0364;nen Rain,</l><lb/>
              <l>Dacht' einem Traumge&#x017F;ichte nach,</l><lb/>
              <l>Darin ihr Gott der Herr ver&#x017F;prach,</l><lb/>
              <l>Treu und wahrhaft, durch Engelsmund:</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;ollte werden ganz ge&#x017F;und,</l><lb/>
              <l>Wenn &#x017F;ie ihm tha&#x0364;te Dies und Das &#x2014;</l><lb/>
              <l>Sie wußte leider nicht mehr Was?</l><lb/>
              <l>Ha&#x0364;tt' &#x017F;ie's gewußt, &#x017F;ie ko&#x0364;nnt's nicht &#x017F;agen,</l><lb/>
              <l>Mu&#x0364;ßt' es ewig bei ihr &#x017F;elb&#x017F;ten tragen.</l><lb/>
              <l>Das fiel ihr nun auf's Herz &#x017F;o &#x017F;chwer,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ie &#x017F;eufzet laut und weinet &#x017F;ehr.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l>Nun kam den Pfad ein Bu&#x0364;blein her,</l><lb/>
              <l>Dem war die Rahel wohlge&#x017F;innt,</l><lb/>
              <l>Es war des Juden Pa&#x0364;chters Kind,</l><lb/>
              <l>Kam von der Synagoge warm,</l><lb/>
              <l>Hatt' Buch und Ta&#x0364;flein unter'm Arm.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0107] Ging es und ritte manches Mal Ohne Diener durch's Wieſenthal. Dann ſprachen die Leute insgemein: „Seht da, des Sultans Toͤchterlein!“ War weiß von Haut und ſchwarz von Haar, Mit Ringeln deckt's den Nacken gar. Ihr Auge gab ſo edlen Glanz, Sah munter drein beim Schaͤfertanz; Ihr rother Mund zwar red'te nicht, Konnt' aber lachen inniglich. Einsmals ſchoͤn Rahel ſaß allein Beim Birkenwald am gruͤnen Rain, Dacht' einem Traumgeſichte nach, Darin ihr Gott der Herr verſprach, Treu und wahrhaft, durch Engelsmund: Sie ſollte werden ganz geſund, Wenn ſie ihm thaͤte Dies und Das — Sie wußte leider nicht mehr Was? Haͤtt' ſie's gewußt, ſie koͤnnt's nicht ſagen, Muͤßt' es ewig bei ihr ſelbſten tragen. Das fiel ihr nun auf's Herz ſo ſchwer, Daß ſie ſeufzet laut und weinet ſehr. Nun kam den Pfad ein Buͤblein her, Dem war die Rahel wohlgeſinnt, Es war des Juden Paͤchters Kind, Kam von der Synagoge warm, Hatt' Buch und Taͤflein unter'm Arm.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/107
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/107>, abgerufen am 28.11.2024.