Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Trost. Ja, mein Glück, das lang gewohnte, Endlich hat es mich verlassen! -- Ja, die liebsten Freunde seh ich Achselzuckend von mir weichen, Und die gnadenreichen Götter, Die am besten Hülfe wüßten, Kehren höhnisch mir den Rücken. Was beginnen? werd' ich etwa, Meinen Lebenstag verwünschend, Rasch nach Gift und Messer greifen? Das sey ferne! vielmehr muß man Stille sich im Herzen fassen. Und ich sprach zu meinem Herzen: Laß uns fest zusammenhalten! Denn wir kennen uns einander, Wie ihr Nest die Schwalbe kennet, Wie die Cither kennt den Sänger, Wie sich Schwert und Schild erkennen, Schild und Schwert einander lieben. Solch ein Paar, wer mag es scheiden? Als ich dieses Wort gesprochen, Hüpfte mir das Herz im Busen, Das noch erst geweinet hatte. Troſt. Ja, mein Gluͤck, das lang gewohnte, Endlich hat es mich verlaſſen! — Ja, die liebſten Freunde ſeh ich Achſelzuckend von mir weichen, Und die gnadenreichen Goͤtter, Die am beſten Huͤlfe wuͤßten, Kehren hoͤhniſch mir den Ruͤcken. Was beginnen? werd' ich etwa, Meinen Lebenstag verwuͤnſchend, Raſch nach Gift und Meſſer greifen? Das ſey ferne! vielmehr muß man Stille ſich im Herzen faſſen. Und ich ſprach zu meinem Herzen: Laß uns feſt zuſammenhalten! Denn wir kennen uns einander, Wie ihr Neſt die Schwalbe kennet, Wie die Cither kennt den Saͤnger, Wie ſich Schwert und Schild erkennen, Schild und Schwert einander lieben. Solch ein Paar, wer mag es ſcheiden? Als ich dieſes Wort geſprochen, Huͤpfte mir das Herz im Buſen, Das noch erſt geweinet hatte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0153" n="137"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b #g">Troſt.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ja, mein Gluͤck, das lang gewohnte,</l><lb/> <l>Endlich hat es mich verlaſſen!</l><lb/> <l>— Ja, die liebſten Freunde ſeh ich</l><lb/> <l>Achſelzuckend von mir weichen,</l><lb/> <l>Und die gnadenreichen Goͤtter,</l><lb/> <l>Die am beſten Huͤlfe wuͤßten,</l><lb/> <l>Kehren hoͤhniſch mir den Ruͤcken.</l><lb/> <l>Was beginnen? werd' ich etwa,</l><lb/> <l>Meinen Lebenstag verwuͤnſchend,</l><lb/> <l>Raſch nach Gift und Meſſer greifen?</l><lb/> <l>Das ſey ferne! vielmehr muß man</l><lb/> <l>Stille ſich im Herzen faſſen.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Und ich ſprach zu meinem Herzen:</l><lb/> <l>Laß uns feſt zuſammenhalten!</l><lb/> <l>Denn wir kennen uns einander,</l><lb/> <l>Wie ihr Neſt die Schwalbe kennet,</l><lb/> <l>Wie die Cither kennt den Saͤnger,</l><lb/> <l>Wie ſich Schwert und Schild erkennen,</l><lb/> <l>Schild und Schwert einander lieben.</l><lb/> <l>Solch ein Paar, wer mag es ſcheiden?</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Als ich dieſes Wort geſprochen,</l><lb/> <l>Huͤpfte mir das Herz im Buſen,</l><lb/> <l>Das noch erſt geweinet hatte.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [137/0153]
Troſt.
Ja, mein Gluͤck, das lang gewohnte,
Endlich hat es mich verlaſſen!
— Ja, die liebſten Freunde ſeh ich
Achſelzuckend von mir weichen,
Und die gnadenreichen Goͤtter,
Die am beſten Huͤlfe wuͤßten,
Kehren hoͤhniſch mir den Ruͤcken.
Was beginnen? werd' ich etwa,
Meinen Lebenstag verwuͤnſchend,
Raſch nach Gift und Meſſer greifen?
Das ſey ferne! vielmehr muß man
Stille ſich im Herzen faſſen.
Und ich ſprach zu meinem Herzen:
Laß uns feſt zuſammenhalten!
Denn wir kennen uns einander,
Wie ihr Neſt die Schwalbe kennet,
Wie die Cither kennt den Saͤnger,
Wie ſich Schwert und Schild erkennen,
Schild und Schwert einander lieben.
Solch ein Paar, wer mag es ſcheiden?
Als ich dieſes Wort geſprochen,
Huͤpfte mir das Herz im Buſen,
Das noch erſt geweinet hatte.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/153>, abgerufen am 16.02.2025. |