Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Er winkt, und aus des Grabes Schoose Steigt blühend, wie der Schnee so rein, Hervor die weiße Todtenrose Und neiget sich im Mondenschein. Begierig schnell will ich sie pflücken, Doch mir versagt die kleine Hand, Indeß mit freudehellen Blicken Ein zweiter Engel vor mir stand. Er zog mich sachte weg zur Pforte Und sprach: "Du gutes, krankes Kind, O laß die Rosen hier am Orte, Die bleich wie deine Wangen sind! Auf's Neue sollst du fröhlich springen, Ihr Wänglein blühet frisch und roth! Dies Pfand magst du der Mutter bringen, Das dir dein guter Engel bot." Er winkt, und aus des Grabes Schooſe Steigt bluͤhend, wie der Schnee ſo rein, Hervor die weiße Todtenroſe Und neiget ſich im Mondenſchein. Begierig ſchnell will ich ſie pfluͤcken, Doch mir verſagt die kleine Hand, Indeß mit freudehellen Blicken Ein zweiter Engel vor mir ſtand. Er zog mich ſachte weg zur Pforte Und ſprach: „Du gutes, krankes Kind, O laß die Roſen hier am Orte, Die bleich wie deine Wangen ſind! Auf's Neue ſollſt du froͤhlich ſpringen, Ihr Waͤnglein bluͤhet friſch und roth! Dies Pfand magſt du der Mutter bringen, Das dir dein guter Engel bot.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0158" n="142"/> <lg n="6"> <l>Er winkt, und aus des Grabes Schooſe</l><lb/> <l>Steigt bluͤhend, wie der Schnee ſo rein,</l><lb/> <l>Hervor die weiße Todtenroſe</l><lb/> <l>Und neiget ſich im Mondenſchein.</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Begierig ſchnell will ich ſie pfluͤcken,</l><lb/> <l>Doch mir verſagt die kleine Hand,</l><lb/> <l>Indeß mit freudehellen Blicken</l><lb/> <l>Ein zweiter Engel vor mir ſtand.</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Er zog mich ſachte weg zur Pforte</l><lb/> <l>Und ſprach: „Du gutes, krankes Kind,</l><lb/> <l>O laß die Roſen hier am Orte,</l><lb/> <l>Die bleich wie deine Wangen ſind!</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l>Auf's Neue ſollſt du froͤhlich ſpringen,</l><lb/> <l>Ihr Waͤnglein bluͤhet friſch und roth!</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Dies Pfand</hi> magſt du der Mutter bringen,</l><lb/> <l>Das dir dein guter Engel bot.“</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [142/0158]
Er winkt, und aus des Grabes Schooſe
Steigt bluͤhend, wie der Schnee ſo rein,
Hervor die weiße Todtenroſe
Und neiget ſich im Mondenſchein.
Begierig ſchnell will ich ſie pfluͤcken,
Doch mir verſagt die kleine Hand,
Indeß mit freudehellen Blicken
Ein zweiter Engel vor mir ſtand.
Er zog mich ſachte weg zur Pforte
Und ſprach: „Du gutes, krankes Kind,
O laß die Roſen hier am Orte,
Die bleich wie deine Wangen ſind!
Auf's Neue ſollſt du froͤhlich ſpringen,
Ihr Waͤnglein bluͤhet friſch und roth!
Dies Pfand magſt du der Mutter bringen,
Das dir dein guter Engel bot.“
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/158>, abgerufen am 16.02.2025. |