Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Fürwahr, sie schien es nicht zu wissen, Wie mächtig ihr die Fülle schwoll, Und daß sie in den Feuerküssen Des wildsten Knaben brennen soll. Still überlegt' ich auf und nieder, Und ging so meiner Wege fort, Doch schon der nächste Morgen wieder Fand mich an dem Granatbaum dort. Wer hat dem Baum in wenig Stunden Ein solches Wunder angethan? Die Flammenkrone aufgebunden? Und was sagt mir dies Zeichen an? Ich eile rasch den Gang hinunter, Dort geht das Kind im Morgenstrahl, Und bald, o Wunder über Wunder! Wir küßten uns zum ersten Mal! Nun trieb der Baum wohl Blüth' auf Blüthe Frisch in die blaue Luft hinaus, Und noch, seitdem er lang verglühte, Ging uns das Küssen nimmer aus. Fuͤrwahr, ſie ſchien es nicht zu wiſſen, Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll, Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen Des wildſten Knaben brennen ſoll. Still uͤberlegt' ich auf und nieder, Und ging ſo meiner Wege fort, Doch ſchon der naͤchſte Morgen wieder Fand mich an dem Granatbaum dort. Wer hat dem Baum in wenig Stunden Ein ſolches Wunder angethan? Die Flammenkrone aufgebunden? Und was ſagt mir dies Zeichen an? Ich eile raſch den Gang hinunter, Dort geht das Kind im Morgenſtrahl, Und bald, o Wunder uͤber Wunder! Wir kuͤßten uns zum erſten Mal! Nun trieb der Baum wohl Bluͤth' auf Bluͤthe Friſch in die blaue Luft hinaus, Und noch, ſeitdem er lang vergluͤhte, Ging uns das Kuͤſſen nimmer aus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0057" n="41"/> <lg n="6"> <l>Fuͤrwahr, ſie ſchien es nicht zu wiſſen,</l><lb/> <l>Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll,</l><lb/> <l>Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen</l><lb/> <l>Des wildſten Knaben brennen ſoll.</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Still uͤberlegt' ich auf und nieder,</l><lb/> <l>Und ging ſo meiner Wege fort,</l><lb/> <l>Doch ſchon der naͤchſte Morgen wieder</l><lb/> <l>Fand mich an dem Granatbaum dort.</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Wer hat dem Baum in wenig Stunden</l><lb/> <l>Ein ſolches Wunder angethan?</l><lb/> <l>Die Flammenkrone aufgebunden?</l><lb/> <l>Und was ſagt mir dies Zeichen an?</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l>Ich eile raſch den Gang hinunter,</l><lb/> <l>Dort geht das Kind im Morgenſtrahl,</l><lb/> <l>Und bald, o Wunder uͤber Wunder!</l><lb/> <l>Wir kuͤßten uns zum erſten Mal!</l><lb/> </lg> <lg n="10"> <l>Nun trieb der Baum wohl Bluͤth' auf Bluͤthe</l><lb/> <l>Friſch in die blaue Luft hinaus,</l><lb/> <l>Und noch, ſeitdem er lang vergluͤhte,</l><lb/> <l>Ging uns das Kuͤſſen nimmer aus.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [41/0057]
Fuͤrwahr, ſie ſchien es nicht zu wiſſen,
Wie maͤchtig ihr die Fuͤlle ſchwoll,
Und daß ſie in den Feuerkuͤſſen
Des wildſten Knaben brennen ſoll.
Still uͤberlegt' ich auf und nieder,
Und ging ſo meiner Wege fort,
Doch ſchon der naͤchſte Morgen wieder
Fand mich an dem Granatbaum dort.
Wer hat dem Baum in wenig Stunden
Ein ſolches Wunder angethan?
Die Flammenkrone aufgebunden?
Und was ſagt mir dies Zeichen an?
Ich eile raſch den Gang hinunter,
Dort geht das Kind im Morgenſtrahl,
Und bald, o Wunder uͤber Wunder!
Wir kuͤßten uns zum erſten Mal!
Nun trieb der Baum wohl Bluͤth' auf Bluͤthe
Friſch in die blaue Luft hinaus,
Und noch, ſeitdem er lang vergluͤhte,
Ging uns das Kuͤſſen nimmer aus.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/57>, abgerufen am 16.02.2025. |