Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Im Frühling. Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel; Die Wolke wird mein Flügel, Ein Vogel fliegt mir voraus. Ach, sag mir, all-einzige Liebe, Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe, Doch du und die Lüfte, sie haben kein Haus. Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüthe offen, Sehnend, Sich dehnend, In Lieben und Hoffen. Frühling, was bist du gewillt? Wann werd' ich gestillt? Die Wolke seh' ich wandeln und den Fluß, Es dringt der Sonne goldner Kuß Mir tief bis in's Geblüt hinein; Die Augen, wunderbar berauschet, Thun, als schliefen sie ein, Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet. Ich denke Dies, und denke Das, Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was: Halb ist es Lust, halb ist es Klage; Mein Herz, o sage: Was webst du für Erinnerung In golden grüner Zweige Dämmerung? -- Alte unnennbare Tage! Im Frühling. Hier lieg' ich auf dem Fruͤhlingshuͤgel; Die Wolke wird mein Fluͤgel, Ein Vogel fliegt mir voraus. Ach, ſag mir, all-einzige Liebe, Wo du bleibſt, daß ich bei dir bliebe, Doch du und die Luͤfte, ſie haben kein Haus. Der Sonnenblume gleich ſteht mein Gemuͤthe offen, Sehnend, Sich dehnend, In Lieben und Hoffen. Fruͤhling, was biſt du gewillt? Wann werd' ich geſtillt? Die Wolke ſeh' ich wandeln und den Fluß, Es dringt der Sonne goldner Kuß Mir tief bis in's Gebluͤt hinein; Die Augen, wunderbar berauſchet, Thun, als ſchliefen ſie ein, Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauſchet. Ich denke Dies, und denke Das, Ich ſehne mich, und weiß nicht recht, nach was: Halb iſt es Luſt, halb iſt es Klage; Mein Herz, o ſage: Was webſt du fuͤr Erinnerung In golden gruͤner Zweige Daͤmmerung? — Alte unnennbare Tage! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0062" n="46"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Im Frühling.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Hier lieg' ich auf dem Fruͤhlingshuͤgel;</l><lb/> <l>Die Wolke wird mein Fluͤgel,</l><lb/> <l>Ein Vogel fliegt mir voraus.</l><lb/> <l>Ach, ſag mir, all-einzige Liebe,</l><lb/> <l>Wo <hi rendition="#g">du</hi> bleibſt, daß ich bei dir bliebe,</l><lb/> <l>Doch du und die Luͤfte, ſie haben kein Haus.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Der Sonnenblume gleich ſteht mein Gemuͤthe offen,</l><lb/> <l>Sehnend,</l><lb/> <l>Sich dehnend,</l><lb/> <l>In Lieben und Hoffen.</l><lb/> <l>Fruͤhling, was biſt du gewillt?</l><lb/> <l>Wann werd' ich geſtillt?</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Die Wolke ſeh' ich wandeln und den Fluß,</l><lb/> <l>Es dringt der Sonne goldner Kuß</l><lb/> <l>Mir tief bis in's Gebluͤt hinein;</l><lb/> <l>Die Augen, wunderbar berauſchet,</l><lb/> <l>Thun, als ſchliefen ſie ein,</l><lb/> <l>Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauſchet.</l><lb/> <l>Ich denke Dies, und denke Das,</l><lb/> <l>Ich ſehne mich, und weiß nicht recht, nach was:</l><lb/> <l>Halb iſt es Luſt, halb iſt es Klage;</l><lb/> <l>Mein Herz, o ſage:</l><lb/> <l>Was webſt du fuͤr Erinnerung</l><lb/> <l>In golden gruͤner Zweige Daͤmmerung?</l><lb/> <l>— Alte unnennbare Tage!</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [46/0062]
Im Frühling.
Hier lieg' ich auf dem Fruͤhlingshuͤgel;
Die Wolke wird mein Fluͤgel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, ſag mir, all-einzige Liebe,
Wo du bleibſt, daß ich bei dir bliebe,
Doch du und die Luͤfte, ſie haben kein Haus.
Der Sonnenblume gleich ſteht mein Gemuͤthe offen,
Sehnend,
Sich dehnend,
In Lieben und Hoffen.
Fruͤhling, was biſt du gewillt?
Wann werd' ich geſtillt?
Die Wolke ſeh' ich wandeln und den Fluß,
Es dringt der Sonne goldner Kuß
Mir tief bis in's Gebluͤt hinein;
Die Augen, wunderbar berauſchet,
Thun, als ſchliefen ſie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauſchet.
Ich denke Dies, und denke Das,
Ich ſehne mich, und weiß nicht recht, nach was:
Halb iſt es Luſt, halb iſt es Klage;
Mein Herz, o ſage:
Was webſt du fuͤr Erinnerung
In golden gruͤner Zweige Daͤmmerung?
— Alte unnennbare Tage!
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